Betriebs-Berater
Neue Vorgaben aus Erfurt zur Berücksichtigung des Diskriminierungsverbots für Teilzeitbeschäftigte bei der Gestaltung von Vorruhestandsverhältnissen
Quelle: Betriebs-Berater 2025 Heft 37 vom 08.09.2025, Seite 2100

Dr. Jan
Henrich
, RA, und
Hendrik
Gellermann

Neue Vorgaben aus Erfurt zur Berücksichtigung des Diskriminierungsverbots für Teilzeitbeschäftigte bei der Gestaltung von Vorruhestandsverhältnissen

Das in § 4 Abs. 1 TzBfG verankerte Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bietet seit jeher erhebliches Konfliktpotenzial zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und war daher wenig überraschend regelmäßig Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. Insbesondere aufgrund der vielfältigen tatsächlichen Anwendungsbereiche des Diskriminierungsverbots und einer umfassenden, durch die nationale und europäische Rechtsprechung geprägten Kasuistik stehen Arbeitgeber oftmals vor der anspruchsvollen Herausforderung, benachteiligende Regelungen (idealerweise auf den ersten Blick) zu erkennen, um nachteiligen Konsequenzen effektiv vorzubeugen.

Das Diskriminierungsverbot kann sowohl auf individual- als auch kollektivrechtlicher Ebene relevant werden. Gerade im Rahmen der facettenreichen und konfliktträchtigen Gestaltung von Sozialplänen haben beide Betriebsparteien neben dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG auch (und nicht zuletzt) die spezielle Bestimmung des § 4 Abs. 1 TzBfG zu beachten. Erst kürzlich hatte der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in der diesem Beitrag zugrundeliegenden Entscheidung vom 29.4.2025 (9 AZR 287/24, BeckRS 2025, 16634, BB 2025, 1779 Ls.) Gelegenheit, sich mit dem Diskriminierungsverbot in Bezug auf Vorruhestandsvereinbarungen in Sozialplänen zu befassen.

I. “Vorruhestand”: Praktischer Hintergrund und Rechtsrahmen

Unter dem Begriff “Vorruhestand” lassen sich unterschiedliche Instrumente zur “Frühverrentung” von Arbeitnehmern zusammenfassen. Es handelt sich in der Regel um – mehr oder weniger – zweckmäßige Mittel zum Personalabbau. Seit einiger Zeit kommen “klassische” Vorruhestandsvereinbarungen in der Praxis allerdings wegen vergleichsweise hoher Kosten für den Arbeitgeber immer seltener zum Einsatz.1 Gleichwohl können Vorruhestandsverhältnisse den Betriebsparteien vielfältige Vorteile und zusätzliche Gestaltungsoptionen als Alternativen zu den klassischen Abfindungsmodellen – wie sie typischerweise in Sozialplänen vereinbart werden – bieten.2 Empfehlenswert erscheint in jedem Fall eine genaue Analyse der konkreten “Population” von betroffenen Arbeitnehmern, um den Nutzen von Vorruhestandsangeboten adäquat abschätzen und angemessen bewerten zu können.

Anders als beispielsweise Altersteilzeitarbeitsverhältnisse3 oder Zeitwertkontenmodelle4 führen Vorruhestandsvereinbarungen im engeren Sinne zu einer sofortigen einvernehmlichen Aufhebung des bis dato bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer erlangt bis zum Eintritt in den (gesetzlichen) Rentenbezug und dem damit typischerweise verbundenen Ende des Vorruhestandsverhältnisses Anspruch auf die Zahlung eines Vorruhestandsentgelts.5 Dabei wird – bei rechtmäßiger Umsetzung – in den meisten Sozialversicherungszweigen der Fortbestand eines Beschäftigungsverhältnisses fingiert.6 Dies steigert die Attraktivität des Modells für (ehemalige) Arbeitnehmer, die beispielsweise weitere Rentenanwartschaften erwerben und krankenversichert bleiben können. Auch in der betrieblichen Altersversorgung sind passgenaue Lösungen möglich – sie sollten allerdings auch bedacht und möglichst exakt geregelt werden, um (spätere) Irritationen zu vermeiden, da betriebliche Versorgungssysteme häufig nicht auf den Vorruhestand “vorbereitet” sind.

Wenngleich das Gesetz zur Förderung von Vorruhestandsleistungen7 (VRG) nach Wegfall staatlicher Förderinstrumente schon seit langem keine (eigenständige) rechtliche Relevanz mehr hat, weisen Vorruhestandsvereinbarungen auch heutzutage noch erhebliche praktische Bedeutung auf.8 Insbesondere im Rahmen der komplexen Verhandlung und Durchführung von Interessenausgleichen und Sozialplänen i. S. d. § 112 BetrVG können sie zu einem sozialverträglichen Personalabbau beitragen. Aber auch in Individualvereinbarungen – nicht zuletzt mit ausscheidenden Führungskräften – spielen Vorruhestandsverhältnisse weiterhin eine nicht unerhebliche Rolle. Dabei kommt es immer wieder auch zu rechtlichen Auseinandersetzungen und Komplikationen bezüglich der zugrundeliegenden Vereinbarungen. So auch im Sachverhalt, welcher der aktuellen BAG-Entscheidung zugrunde lag.9

Neben dem oben bereits erwähnten Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten können im Zusammenhang mit Vorruhestandsmodellen ebenfalls die (allgemeinen) Diskriminierungsverbote relevant werden. Dies betrifft insbesondere die geschützten Merkmale “Behinderung” und “Alter” – jeweils i. V. m. § 7 AGG. In diesem Zusammenhang hatte das BAG im Jahr 2017 entschieden, dass eine Vorruhestandsvereinbarung, deren Ende an die Inanspruchnahme von vorzeitiger Altersrente gemäß § 236a Abs. 1 S. 2 SGB VI anknüpft, schwerbehinderte Arbeitnehmer benachteilige, da solche bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres in die vorzeitige Altersrente eintreten können, wohingegen nichtschwerbehinderte Arbeitnehmer diese Möglichkeit erst mit Vollendung des 63. Lebensjahres zusteht.10 Daraus ergebe sich für letztere indes ein längerer Zeitraum mit Anspruch auf das Vorruhestandsentgelt, was sich aus diskriminierungsrechtlichem Blickwinkel nicht rechtfertigen lasse. Bei der Verhandlung und Gestaltung von Vorruhestands-, aber auch Altersteilzeitvereinbarungen ist folglich mit Blick auf “Renteneintrittsklauseln” auf entsprechende Ausnahmetatbestände zu achten.

In jüngerer Vergangenheit hatte das ArbG Mannheim bezüglich der Gewährung einer einmaligen Inflationsausgleichsprämie entschieden, dass (ehemaligen) Arbeitnehmern während der Laufzeit eines Vorruhestandsprogramms auch nach Maßgabe des § 75 Abs. 1 BetrVG bzw. mittelbarer Altersdiskriminierung kein Anspruch auf Zahlung des Einmalbetrags zustehe, sofern dieser nur solchen Arbeitnehmern zugutekommen solle, die in Zukunft noch weitere Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbringen werden.11 Allerdings beruhte das Vorruhestandsmodell im gegenständlichen Sachverhalt nicht auf einer sofortigen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses, sondern beinhaltete eine längere Freistellung im Rahmen einer sogenannten “Entnahmephase” aus einem Arbeitszeitkonto.

Es zeigt sich also bereits an diesen Beispielen, dass sich allgemeine, schematische Lösungen und “Gestaltungspfade” nicht finden und anraten lassen. Die rechtlichen Maßstäbe und damit verbundene Restriktionen hängen im Einzelfall vom für zweckmäßig erachteten Trennungsinstrument ab. Da sich unter dem Begriff “Vorruhestand” – wie gesehen – bisweilen auch unterschiedliche rechtstechnische Ausgestaltungen verbergen können, sollte im Ausgangspunkt für Klarheit über das gewünschte Resultat und den “richtigen Weg zum Ziel” gesorgt werden.

II. Entscheidung des BAG vom 29.4.2025 – 9 AZR 287/24

Der aktuellen Entscheidung des BAG vom 29.4.2025 lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem offenbar zumindest grundsätzliche Einigkeit über das Vorruhestandsmodell herrschte. Streitanfällig gestaltete sich hingegen die Berechnung des Vorruhestandsentgelts, sodass der “Teufel im Detail steckte”.

1. Sachverhalt

Die Klägerin war von 1982 bis 2023 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Zigarettenindustrie, beschäftigt. In dieser Zeit arbeitete sie mehrfach in Teilzeit, zuletzt von Juli 2007 bis Ende Dezember 2012 mit einem Beschäftigungsumfang von 80 v. H. Zum April 2023 trat die Klägerin auf Grundlage eines Sozialplans, den die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat geschlossen hatte, in den Vorruhestand ein. Gegenstand des Sozialplans war unteranderem eine Bezugnahme auf den auch auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Manteltarifvertrag der Cigarettenindustrie (MTV).12 Mit dieser Bezugnahme vereinbarten die Betriebsparteien, dass für Arbeitnehmer, welche die Voraussetzungen des § 14 MTV erfüllen, dessen Vorruhestandsregelung gelten sollte. Zugleich modifizierte der Sozialplan einige Regelungen des MTV. Ergänzend sah der Sozialplan vor, dass ein Vorruhestand bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres möglich sei, sofern bis zum 31.12. das 55. Lebensjahr erreicht, eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren sowie zum 63. Lebensjahr 35 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung nachgewiesen werden konnten.

Gemäß § 14 Nr. 4 Abs. 1 MTV betrug das Vorruhestandsentgelt grundsätzlich 70 % des zuletzt gezahlten Gehalts. Dieser Prozentsatz reduzierte sich jedoch bei (vergangener) Teilzeitbeschäftigung anteilig entsprechend dem Verhältnis der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit zur Vollzeit über die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses. Infolgedessen errechnete die Beklagte im Rahmen einer Mischrechnung ein Vorruhestandsentgelt für die Klägerin auf Basis eines Faktors in Höhe von 58,84 v. H. Dagegen wendete sich die Klägerin unter Berufung auf das Diskriminierungsverbot gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG und verlangte die Feststellung, dass ihr ein volles Vorruhestandsentgelt in Höhe von 70 v. H. zustehe. Das ArbG Hamburg wies die Klage ab,13 die eingelegte Berufung wies das LAG Hamburg zurück.14 Hiergegen ging die Klägerin im Wege der Revision vor. Diese hatte vor dem BAG überwiegend Erfolg.

2. Entscheidungsgründe

Im Hinblick auf die rechtliche Überprüfung des Sozialplans führt das BAG zunächst aus, dass nicht die für Tarifvertragsparteien geltende eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte maßgeblich sei. Vielmehr unterlägen die Sozialpläne als erzwingbare Betriebsvereinbarungen der Kontrolle i. S. d. § 75 Abs. 1 BetrVG gemäß derer sie anhand von Recht und Billigkeit zu beurteilen sind. Grund dafür sei, dass der Sozialplan eine eigenständige Regelung neben dem Tarifvertrag darstelle, zwar verweise der Sozialplan auf § 14 MTV, er ändere diesen jedoch inhaltlich derart intensiv ab, dass eine eigenständige Regelung anzunehmen sei.

Maßgeblicher Prüfungsmaßstab sei daher der in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gleichheitsgrundsatz.15 Daneben (bzw. vorrangig) sei jedoch das in § 4 Abs. 1 TzBfG einfachrechtlich normierte Benachteiligungsverbot zu berücksichtigen. Dieses untersage es Arbeitgebern, Teilzeitbeschäftigte ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes zu benachteiligen. Zur Anwendung gelange gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG der “Pro-rata-temporis-Grundsatz”, wonach entgeltwerte Leistungen der Teilzeitbeschäftigten mindestens den Umfang des Anteils der geleisteten Arbeit betragen müssen. Eine Ungleichbehandlung soll insbesondere dann vorliegen, wenn die Dauer der Arbeitszeit maßgebliches Kriterium für die Unterscheidung sei. Ein sachlicher Grund sei hingegen anzunehmen, wenn sich aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit die sachliche Rechtfertigung herleiten lasse. Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme gerechtfertigt sei, müsse insofern auf den Zweck der Leistung abgestellt werden, im hiesigen Falle mithin die Schaffung eines zukunftsbezogenen Ausgleichs, um die (vorzeitige) Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu kompensieren.16

Anders als die beiden Vorinstanzen kam das BAG nicht zu der Überzeugung, dass die im Sozialplan angelegte Ungleichbehandlung durch einen Sachgrund gerechtfertigt werden könne. Insbesondere sei dies nicht der Fall, da sich die vom BAG entwickelten Grundsätze zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) nicht bzw. nicht ohne Weiteres auf eine Vorruhestandsregelung übertragen ließen.17 Zudem stehe den Betriebsparteien zwar ein gewisser Gestaltungsspielraum zu, § 4 Abs. 1 TzBfG schließe es aber aus, per Mischrechnung die gesamte Beschäftigungsdauer zugrunde zu legen. Die Überbrückungsfunktion und damit die Sicherung des Lebensstandards könne nur mit einem “einheitlichen Referenzzeitraum”, der allgemein als Berechnungsgrundlage herangezogen wird, gewährleistet werden.18

Hinsichtlich der Rechtsfolge entschied der 9. Senat jedoch, dass die Regelung des Sozialplans trotz des Rechtsverstoßes lediglich teilweise unwirksam und daher gemäß § 139 BGB aufrechtzuerhalten sei, soweit die Betriebsparteien einen (zulässigen) Referenzzeitraums festgelegt haben.19 Einer gesetzeskonformen Auslegung stand indes – was überzeugt – der eindeutige Wortlaut des Sozialplans entgegen. Die Bestimmung von 15 Jahren als Referenzzeitraum, die im Sozialplan das Eingreifen der Vorruhestandsregelung an sich bedingte, sei vom Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien gedeckt.

III. Einordnung und Bewertung der Entscheidung

Die Entscheidung des BAG ist dogmatisch und inhaltlich nachvollziehbar und gut begründet. Sie stellt auch keine übermäßigen Anforderungen an die an der Verhandlung von Vorruhestandsvereinbarungen beteiligten Vertragsparteien, welche die Praxis “überfordern” könnten. Die Betriebsparteien werden die zentralen Erwägungen des Gerichts bei künftigen Gestaltungen von Vorruhestandsprogrammen – ob auf individual- oder kollektivvertraglicher Grundlage – zu berücksichtigen haben, um rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken effektiv vorzubeugen.

1. Rechtliche Maßstäbe

Überzeugend stellt das BAG die Grundsätze zum Diskriminierungsverbot in Anlehnung an die einschlägige Rechtsprechung des EuGH20 dar. Danach erfolge die Prüfung grundsätzlich auf zwei Ebenen: Auf erster Ebene sei zu überprüfen, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt. Als maßgebliches Kriterium für die Beurteilung nennt der 9. Senat die Unterscheidung nach der Dauer der Arbeitszeit. Sowohl das LAG als auch das BAG kamen zu dieser Auffassung, da der zugrundeliegende § 14 MTV sachlich danach differenzierte, welchen Beschäftigungsgrad die erfassten Arbeitnehmer während ihres “gesamten Beschäftigungsverhältnisses” aufwiesen.

Anschließend ist auf zweiter Ebene zu überprüfen, ob der Arbeitgeber einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt, darlegen bzw. vorweisen kann. Der EuGH verlangt für das Vorliegen eines solchen sachlichen Grundes konkrete Umstände, welche die Leistung in ihrem speziellen Zusammenhang bedingen und auf Grundlage objektiver und transparenter Kriterien kennzeichnen, um sicherzustellen, dass die unterschiedliche Behandlung einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet und erforderlich (d. h. “verhältnismäßig”) ist.21 Insbesondere im Rahmen von Sozialplänen räumt das BAG den Betriebsparteien grundsätzlich einen gewissen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum ein. Folgerichtig betonte der 9. Senat, dass Zweck des Vorruhestandes sei, den Lebensstandard (des betroffenen Arbeitnehmers) zu erhalten. Dieser bemesse sich anhand des bislang verdienten Entgelts, sodass eine Differenzierung zwar möglich sei, jedoch nur sofern ein “einheitlicher” Referenzzeitraum ausgewählt wird.

Es leuchtet auch ein, dass das BAG davon ausgeht, dass allein ein “einheitlicher” Referenzzeitraum geeignet sei, um den erworbenen und abzusichernden Lebensstandard verlässlich zu beurteilen. Auch wenn sich “Beschäftigungslebensläufe” individuell und unterschiedlich gestalten, ist es gerade nicht Zweck des Vorruhestandsentgelts, die gesamte “Lebensleistung” im Arbeitsverhältnis zu honorieren, sondern eine “Übergangsversorgung” für einen klar zu umreißenden Zeitraum zu gewähren.22

Im Gegensatz dazu hatte das BAG hinsichtlich der Bemessung von Sozialplanabfindungen entschieden, dass eine Berechnung anhand der gesamten Beschäftigungsdauer ausnahmsweise nicht gegen den betrieblichen Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG verstoße und keine Benachteiligung i. S. d. § 4 Abs. 1 TzBfG darstelle.23 Solche Regelungen seien jedoch nur unter der Bedingung zulässig, dass Nachteile für Teilzeitbeschäftigte abgemildert werden. Solche können sich insbesondere daraus ergeben, dass der Referenzzeitraum (zu) kurz bemessen ist und der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum lediglich kurzfristig eine Teilzeitbeschäftigung ausübte. Für einen solchen Fall erkannte das BAG eine Ausnahmeregelung für die Berechnung der Abfindung als zulässig an, nach welcher der gesamte Beschäftigungszeitraum maßgeblich sei und die Bemessung anhand eines Vollzeitgehalts erfolgen sollte.

2. Keine Vergleichbarkeit mit der bAV

Weiterhin überzeugen auch die Ausführungen im Urteil des BAG hinsichtlich der Abgrenzung zur Rechtsprechung zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bei der betrieblichen Altersversorgung (vgl. insoweit das Urteil des 3. Senats vom 20.6.202324). Das LAG Hamburg hatte dies in der Berufungsinstanz noch anders beurteilt. Die bAV verfolgt indes, wie der 9. Senat zutreffend ausführt, u. a. den Zweck die Betriebstreue umfassend zu honorieren und auf dieser Basis den Versorgungsbedarf festzustellen. Anders hingegen das Vorruhestandsentgelt, welches dazu dient, den Lebensstandard bis zum Eintritt in die gesetzliche Altersrente zu sichern. Das LAG hingegen übernahm die Grundsätze zur bAV und nahm aus diesem Grund eine Rechtfertigung an. Hierdurch wurden die unterschiedlichen Zwecke der jeweiligen Leistungen verkannt.

Die bAV wird nach allgemeiner Ansicht durch eine Doppelrolle geprägt. Sie hat sowohl einen Versorgungs- als auch einen Entgeltcharakter. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des BAG.25 Entgeltcharakter meint damit jedoch nicht die konkrete Arbeitsleistung, d. h. es besteht kein unmittelbares Austauschverhältnis wie bei der “regulären” Entgeltzahlung.26 Vielmehr ist die Entgeltfunktion übergreifend und typisierend im Zusammenhang mit der gesamten Betriebszugehörigkeit zu würdigen. Dies lässt es wiederum zu, dass die Betriebsparteien auch die gesamte Beschäftigungsdauer für die Berechnung der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugrunde legen können. Vergleichbare Hintergründe enthält das Arbeitsrecht allerdings nicht für Vorruhestandsverhältnisse, sodass sich diese Erwägungen nicht übertragen lassen.

IV. Fazit und Praxishinweise:

Die Entscheidung verdeutlicht die unterschiedlich stark ausgeprägten Gestaltungsspielräume für Tarifvertrags- und Betriebsparteien. Während Tarifverträge nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind, unterliegen Sozialpläne einer umfassenderen Kontrolle an Recht und Billigkeit. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG diese Entscheidung mit Blick auf die Besonderheiten des Art. 9 Abs. 3 GG auch bei lediglich tarifvertraglicher Rechtsgrundlage getroffen hätte. Ungeachtet dessen werden Arbeitgeber ihre bestehenden (musterhaften) Vorruhestandsvereinbarungen und Sozialpläne, die ähnliche oder sogar vergleichbare Regelungen enthalten, überprüfen, anpassen und sich gegebenenfalls auf Klagen bezüglich Nachzahlungen einstellen müssen. Dies gilt umso mehr, als dass sich diese Rechtsprechung auch auf Individualverträge übertragen lassen dürfte.

Ferner wird durch die aktuelle Entscheidung des BAG in Erinnerung gerufen, dass in der Rechtspraxis eine beachtliche Vielzahl von unterschiedlichen Trennungs- bzw. Personalabbaumodellen existiert. Im Zusammenhang mit “rentennahen Beschäftigten” werden diese nicht selten (ohne notwendige Präzision) unter dem Begriff “Vorruhestand” zusammengefasst. Das führt gelegentlich in die Irre, wenn und soweit die dahinterstehenden rechtlichen Gestaltungen nicht offengelegt und reflektiert werden. Im Einzelnen bestehen dann je nach gewählter Gestaltung relevante rechtliche Unterschiede mit Blick auf zu beachtende rechtliche Rahmenbedingung sowie damit korrespondierende Risiken.

Abbildung 17

Dr. Jan Henrich ist Rechtsanwalt bei Allen Overy Shearman Sterling LLP, Frankfurt a. M. Er berät regelmäßig zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit betrieblicher Altersversorgung und Vorruhestands- und Altersteilzeitmodellen.

Abbildung 18

Hendrik Gellermann ist bei Allen Overy Shearman Sterling LLP, Frankfurt a. M. als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und Rechtsreferendar am LG Bielefeld.


1

So etwa Lindemann, Reaktionen auf Unternehmenskrisen, 38. Ed., Stand: 21.7.2025, VI. 84.

2

Adam/Kothen/Thoß, DB 2025, 873, 874.

3

Vgl. dazu Schwab/Teschabai, DB 2016, 530, 531.

4

Ausführlich hierzu Beste u. a., DB 2025, 1486.

5

Bisweilen auch “Vorruhestandsgeld”; vgl. ferner Reichel/Böhm/Maurer, DB 2024, 2965, 2967.

6

Aus den unterschiedlichen Sozialversicherungszweigen: § 5 Abs. 3 SGB V, § 3 Nr. 4 SGB VI, § 20 Abs. 2 SGB XI.

7

“Vorruhestandsgesetz vom 13.4.1984” (BGBl. I S. 601), das zuletzt durch Art. 2 Nr. 5 des Gesetzes vom 22.12.2005 (BGBl. I S. 3686) geändert worden ist.

8

Exemplarisch aus jüngerer Vergangenheit Böglmüller/Park-Said, SPA 2024, 57.

9

Dazu ausführlicher unter II.

10

BAG, 21.11.2017 – 9 AZR 141/17, NZA 2018, 786, BB 2018, 628 Ls.

11

ArbG Mannheim, 21.2. 2024 – 2 Ca 192/23, BeckRS 2024, 6355; vgl. aber auch BAG, 12.11.2024 – 9 AZR 71/24, NJW 2025, 1764, BB 2025, 1011 Ls., mit Blick auf eine Altersteilzeitregelung.

12

Vgl. BAG, 29.4.2025 – 9 AZR 287/24, BeckRS 2025, 16634, Rn. 3, BB 2025, 1779 Ls. Der MTV selbst ist abrufbar unter https://adc-online.de/wp-content/uploads/MTV_
W.-2005_
Original.pdf (Abruf: 31.7.2025).

13

ArbG Hamburg, 4.7.2023 – 24 Ca 311/22.

14

LAG Hamburg, 8.5.2024 – 5 Sa 49/23, BeckRS 2024, 48082.

15

BAG, 29.4.2025 – 9 AZR 287/24, BeckRS 2025,16634, Rn. 18, BB 2025, 1779 Ls.

16

BAG, 29.4.2025 – 9 AZR 287/24, BeckRS 2025, 16634, Rn. 19 ff., BB 2025, 1779 Ls.

17

BAG, 29.4.2025 – 9 AZR 287/24, BeckRS 2025, 16634, Rn. 27 f., BB 2025, 1779 Ls.

18

BAG, 29.4.2025 – 9 AZR 287/24, BeckRS 2025, 16634, Rn. 29, BB 2025, 1779 Ls.

19

BAG, 29.4.2025 – 9 AZR 287/24, BeckRS 2025, 16634, Rn. 36 ff., BB 2025, 1779 Ls.

20

Vgl. dazu EuGH, 19.10.2023 – C-660/20, NZA 2023, 1379.

21

EuGH, 19.10.2023 – C-660/20, NZA 2023, 1379, 1382, Rn. 58.

22

BAG, 29.4.2025 – 9 AZR 287/24, BeckRS 2025, 16634, Rn. 29, BB 2025, 1779 Ls.

23

BAG, 22.9.2009 – 1 AZR 316/08, BB 2010, 640, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 204.

24

BAG, 20.6.2023 – 3 AZR 221/22, BB 2023, 3003, NZA 2024, 58.

25

BAG, 12.2.2013 – 3 AZR 100/11, AP AGG § 10 Nr. 3, Rn. 32, BB 2013, 1267 Ls.

26

Vgl. etwa Hiller, NJ 2025, 254, 255.