Betriebs-Berater
Von Eisbären und Markenrechten – ESG auf Kollisionskurs mit IP?
Quelle: Betriebs-Berater 2025 Heft 43 vom 20.10.2025, Seite 2439

Dr. Fabian Klein, RA

Von Eisbären und Markenrechten – ESG auf Kollisionskurs mit IP?*

Chancen und Risiken im Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeitsregulierung und geistigem Eigentum

Die ESG-Regulierung wird erhebliche Auswirkung auf Markenführung, Produktdesign und Kommunikationsstrategien von Unternehmen haben und damit in direktem Konflikt mit IP-Regelungen wie dem Markenrecht, Designrecht oder Wettbewerbsrecht (UWG) stehen. Nachfolgend wird analysiert, welche konkreten Auswirkungen zentrale EU-Vorhaben wie die EmpCo-Richtlinie und die Ökodesignverordnung haben werden und zeigt, wie Unternehmen ihre IP-Strategie anpassen können – nicht nur zur Risikominimierung, sondern auch um Chancen für Innovation und Wettbewerbsvorteile wahrzunehmen.

I. Eine neue Wirklichkeit

IP-Rechte dienen keinem Selbstzweck. Kein Unternehmen gibt Geld für die Anmeldung einer Marke, eines Patents oder auch nur eines Designrechts aus, wenn es sich daraus keinen Wettbewerbsvorteil verspricht. Dieser kann sehr direkt sein – in Form einer Exklusivität oder auch nur von Lizenzeinnahmen – oder eher indirekt, wie die Wertschätzung, die einer Brand entgegengebracht wird und die es ermöglicht, die eigenen Produkte zu einem höheren Preis anzubieten.

Erst recht gilt dies mit Blick auf Investitionen in Forschung und Entwicklung, die einem IP-Recht, etwa einem Patent oder einem Design, vorausgehen. Diese Kosten übersteigen die Aufwendungen für Anmeldung und Aufrechterhaltung von IP-Rechten um ein Vielfaches, und auch diese Investitionen müssen sich betriebswirtschaftlich rechnen. Genau deshalb “belohnt” das IP-System vereinfacht gesagt die erzielten Ergebnisse mit Exklusivitätsrechten.

Was wäre also, wenn die eigenen entwickelten USPs nicht mehr geschützt werden könnten, sondern aufgrund der Wertungen aus anderen Bereichen auch anderen Unternehmern zur Verfügung gestellt werden müsste? Wenn die eigene Marke nicht mehr verwendet werden dürfte, um auf die Wertschätzung der Brand einzuzahlen, weil das politisch nicht mehr gewünscht ist? Wenn eigene Bemühungen zu einer umweltfreundlicheren Produktion nicht mehr kommuniziert werden dürften? Oder wenn die in jahrelanger Forschungs- und Entwicklungs-Tätigkeit (F&E) erarbeiteten Vorteile der eigenen Produkte zum Industriestandard würden und von Dritten nachgebaut werden dürften?

Was sich im ersten Moment wie eine unrealistische Abschaffung des etablierten IP-Systems anhört, könnte gar nicht so unrealistisch sein. In den letzten Jahren hat insbesondere die Europäische Union (EU) verstärkt Regelungen erlassen (oder bereitet diese vor), die zumindest zum Teil genau dazu führen könnten. Gemeinsamer Nenner dieser Regelungen ist ihre Zielsetzung aus dem Bereich ESG (Environment, Social, Governance), die also Verbesserungen in den Bereichen Umwelt (E), soziale Gerechtigkeit (S) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (G) erreichen wollen. Unternehmen werden durch diese nicht nur dazu angehalten, ökologische Aspekte in ihre Geschäftspraktiken stärker zu integrieren und ihre Tätigkeiten sozialverträglich auszurichten, sondern werden durch verbindliche Regelungen dazu verpflichtet, ihre Produkte, Prozesse und Kommunikation neu zu bewerten – mit potenziellen Folgen auch für die eigenen IP-Rechte.

ESG also als Feind der IP-Rechte? Genau dies wird im Folgenden untersucht, und zwar mit Blick auf die Risiken ebenso wie auf die Chancen, die sich aus den ESG-Anforderungen ergeben. Unternehmen soll dies eine Hilfestellung geben, wie (nicht: ob) sie ihre IP-Strategie auf die ESG-Regulatorik anpassen können. Die Fähigkeit eines Unternehmens, nachhaltige Produkte zu entwickeln und diese glaubwürdig zu kommunizieren, hängt maßgeblich von einer kohärenten IP-Strategie ab, die die neuen regulatorischen Anforderungen berücksichtigt. Dazu muss der Blick ebenso auf das große Ganze gelegt werden wie auf die Details der einzelnen Regelungen. Dieser Beitrag kann zwar keine allumfassende Darstellung der (geplanten und aktuellen) ESG-Normen und deren möglichen Einfluss auf IP-Rechte bieten, ordnet aber die wichtigsten Regelungen und deren Auswirkungen ein. Soweit ersichtlich ist dies die erste Untersuchung mit diesem Blickwinkel.

II. Die wichtigsten (geplanten) Regelungen

Die EU treibt mit mehreren Schlüsselverordnungen und -richtlinien den Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft voran. Der im Dezember 2019 von der Kommission von der Leyen I ausgerufene “Green Deal”1 sollte die EU zum klimapolitischen Vorzeigekontinent machen. Auch wenn der Green Deal seit seiner Vorstellung (und insbesondere seit den Wahlen zum Europaparlament 2024) an Strahlkraft eingebüßt und der Gegenwind zugenommen hat, besteht das grundsätzliche Ziel weiterhin fort.

Diese Regelwerke schaffen mitunter neue Spielregeln für die Produktgestaltung, -kommunikation und -vermarktung und müssen daher im Rahmen der IP-Strategie berücksichtigt werden.

1. Die “Empowering Consumers”-Richtlinie

Die Richtlinie (EU) 2024/8252 ist eine der ersten Regelungen mit direktem Einfluss auf die IP-Rechte. Aufgrund ihres englischen Titels ist sie bekannt als “Empowering Consumers” oder schlicht “EmpCo”-Richtlinie. Sie wurde am 6.3.2024 unterzeichnet und veröffentlicht und trat am 26.3.2024 in Kraft. Die EU-Mitgliedstaaten haben bis zum 27.3.2026 Zeit für die Umsetzung in nationales Recht, wobei die Regelungen ab dem 27.9.2026 Anwendung finden müssen, mithin bereits in gut einem Jahr.

Primäres Ziel der EmpCo-Richtlinie ist es, Verbraucher zu befähigen, fundierte Kaufentscheidungen zu treffen und so zu einem nachhaltigeren Konsumverhalten beizutragen. “Fundierte” Entscheidungen sind dabei mit politisch gewollten, nämlich “grünen” Entscheidungen gleichzusetzen. Vereinfacht gesagt geht die EmpCo-Richtlinie davon aus, dass – wenn Verbraucher über die ökologischen Kennziffern der verschiedenen Produkte korrekt aufgeklärt sind – sie automatisch die ökologischere Alternative wählen werden.

Die EmpCo-Richtlinie setzt daher zentral an dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot an und ändert die UGP-Richtlinie3 und die Verbraucherrechte-Richtlinie,4 um Greenwashing und irreführende Produktinformationen zu bekämpfen. In Deutschland wird sie primär im UWG umgesetzt werden; ein Regierungsentwurf (RegE) hierzu wurde am 3.9.2025 beschlossen.5

Die EmpCo-Richtlinie führt wesentliche Verbote und Beschränkungen von Werbeaussagen und Umweltkennzeichnungen ein. Sie wird dabei nicht nur grundsätzliche Auswirkungen darauf haben, mit welchen Werbeclaims ein Unternehmen seine Produkte bewerben darf, sondern auch darauf, wie die Produktverpackung insgesamt gestaltet werden darf. Der RegE zum UWG-E hält sich dabei inhaltlich sehr eng an die europarechtlichen Vorgaben.

a) Verbot allgemeiner Umweltaussagen

Zentrale Regelung der EmpCo-Richtlinie ist das Verbot sogenannter “allgemeiner Umweltaussagen”. Darunter werden kurze, plakative Aussagen verstanden, die für sich genommen keinen anhand objektiver Kriterien überprüfbaren Aussagegehalt haben und aus denen nicht unmittelbar hervorgeht, welcher Umweltaspekt betroffen ist, auf welchen Abschnitt des Lebenszyklus eines Produkts sie sich beziehen oder wie die behauptete Wirkung konkret erreicht werden soll. Zumeist werden Umweltaussagen wie “grün”, “öko” oder “nachhaltig” als Beispiele genannt.

Solche generellen Angaben werden grundsätzlich verboten. Nur wenn sie klar und in hervorgehobener Weise auf demselben Medium erläutert werden, sollen sie weiterhin erlaubt sein (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UWG-E). Unternehmen sollen so zu einer präziseren und transparenteren Kommunikation gezwungen werden. Die Aussage “nachhaltig” etwa kann daher weiterhin erlaubt sein, wenn sie mit konkreten Informationen wie etwa “dank Herstellungen vollständig mit Ökostrom” präzisiert wird. Auch eine insoweit “erläuterte” Umweltaussage muss sich aber weiter an den Voraussetzungen des Irreführungsverbots (§§ 5, 5a UWG) messen lassen. Diese Anforderungen sind recht streng,6 so dass insbesondere kurze Umweltaussagen trotz Erläuterung weiterhin ein hohes Risiko mit sich bringen dürften, irreführend und damit unlauter zu sein.

Von der EmpCo-Richtlinie sind nicht nur klassische Werbeclaims erfasst, sondern sämtliche Nachhaltigkeitsaussagen in der kommerziellen Business-to-Consumer (B2C)-Kommunikation. Mit anderen Worten gelten die Regelungen auch für (eingetragene) Markenzeichen, Etiketten, Störer und sonstige Designelemente, oder auch die Produktaufmachung selbst, etwa wenn ein Spülmittel komplett in grün und mit einem Regenwald oder einer Blumenwiese im Hintergrund dargestellt wird (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 5 UWG-E). Die deutsche Umsetzung wird dabei nach dem UWG-E den B2B-Bereich unterschiedslos ebenfalls erfassen. Daher müssen sich auch Unternehmen, die hauptsächlich gewerbliche Abnehmer zu ihren Kunden zählen, mit den Regeln der EmpCo-Richtlinie (bzw. deren nationale Umsetzung) auseinandersetzen müssen.

Neben den Umweltaussagen selbst werden insbesondere Nachhaltigkeitssiegel geregelt. Darunter fallen Siegel, die ökologische oder soziale(!) Merkmale vermitteln. Diese sind nur noch erlaubt, wenn sie auf einem unabhängigen Zertifizierungssystem beruhen, das allen Gewerbetreibenden unter “transparenten, lauteren und diskriminierungsfreien Bedingungen” (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 a) UWG-E) zugänglich ist, das unabhängig überwacht wird und das vom Systeminhaber “in Absprache mit geeigneten Sachverständigen und Interessensträgern” (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 b) UWG-E) erarbeitet wurde. Durch die Ausweitung auf soziale Merkmale fallen hierunter nicht nur umweltbezogene Angaben (etwa der Recyclinganteil in einer Verpackung), sondern auch Angaben über soziales Engagement (z. B. sozialverträglich besorgte Rohstoffe; auch Angaben über Diversity and Inclusion (D&I)-Initiativen eines Unternehmens fallen darunter oder arbeitgeberbezogene Auszeichnungen wie etwa als “Great Place to Work”).

b) Auswirkungen

Die EmpCo-Richtlinie hat daher direkte Auswirkungen auf die Markenführung und Brand-Kommunikation. Die Verwendung von Marken und Logos, die Umweltaussagen enthalten, wird deutlich schärfer reguliert. Für eingetragene Marken gibt es dabei keine Ausnahme, auch diese müssen sich vollständig an den neuen Maßstäben messen lassen. Die bestehende Kommunikation – sowohl die “aktive” in Form von Claims oder Siegeln wie auch die “passive” in Form von Designelementen, Farben oder Hintergrundbildern – muss daher anhand dieser neuen Regeln geprüft werden, will man nicht unbeabsichtigt gegen die Anforderungen der EmpCo-Richtlinie verstoßen. Unter Umständen müssen dabei auch etablierte und liebgewonnene Darstellungen weichen, wie z. B. die komplett grüne Einfärbung einer Produktverpackung oder ein Maskottchen, das eine besondere ökologische Vorteilhaftigkeit suggeriert – wie etwa ein Eisbär, der auf die besondere Klimafreundlichkeit und Verantwortung hinweisen soll.

Die Zusammenarbeit mit Anbietern von Umwelt- und Sozial-Siegeln muss auf den Prüfstand gestellt werden, um sicherzustellen, dass nicht nur die konkreten Siegel nicht irreführend sind, sondern auch die dahinterstehenden Systeme die neuen Standards erfüllen werden. Denn wenn nicht, treffen Ansprüche aus unlauterer Werbung erst sekundär den Systembetreiber, primär aber die Unternehmen, die diese Logos auf ihren Produkten anbringen. Auch Reputationsrisiken dürften den Werbenden deutlich stärker treffen als den Systembetreiber.

Besonders gilt dies für die Zusammenarbeit mit Projekten zur CO2-Kompensation. Denn die EmpCo-Richtlinie enthält ein spezielles Verbot der Werbung mit solchen Aussagen. Da CO2-Kompensationen – also der Ausgleich entstandener Emissionen durch alternative Methoden wie z. B. Aufforstungsprojekte – auch in der deutschen Rechtsprechung7 nur als “zweite Wahl” hinter der erstrangigen CO2Vermeidung angesehen wird, werden Aussagen grundsätzlich als irreführend angesehen, wenn sie sich auf eine bloße Kompensation stützen (vgl. die neue Nr. 4c des Anhangs zum UWG). Ob die Teilnahme an CO2-Kompensationsprojekten aus Sicht von Marketing und Unternehmenskommunikation damit überhaupt noch sinnvoll bleibt, muss bezweifelt werden. Gegenwärtig scheint eine Kommunikation allenfalls ohne Hinweis auf die damit erzielten positiven Aspekte rechtlich denkbar.

Die EmpCo-Richtlinie verlagert die Darlegungs- und Beweislast für die Zulässigkeit von Umweltaussagen erheblich auf die Unternehmen. Es geht nicht nur darum, falsche Behauptungen zu vermeiden, sondern alle freiwilligen Umweltaussagen robust untermauern zu können. Sie müssen auf anerkannten wissenschaftlichen Beweisen und dem Stand der Technik basieren und die Bedeutung von Auswirkungen aus einer Lebenszyklusperspektive demonstrieren. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Marketing-, F&E- sowie Rechtsabteilungen, um sicherzustellen, dass Kommunikationsrichtlinien aktualisiert werden und Umweltdaten präzise und transparent dargestellt werden.

Die notwendige Begründung und Spezifizierung führt weiter dazu, dass interne Prozesse zur Datenerfassung und -validierung stärker bereichsübergreifend aufgestellt und geteilt werden müssen, um rechtliche Risiken zu minimieren. Unternehmen sollten ihre Marketingteams schulen, damit diese in der Lage sind, Umweltdaten korrekt zu interpretieren und darzustellen sowie sicherzustellen, dass alle Behauptungen hinreichend transparent sind. Dies erfordert die Implementierung von Prozessen zur Gewährleistung der Genauigkeit, Aktualität und Transparenz von Umweltdaten, einschließlich regelmäßiger Audits, sowie das Teilen der vorhandenen Daten. Idealerweise müsste bereits vor der Datenerhebung geklärt werden, wie und von wem die Daten später verwendet und (insbesondere nach außen) kommuniziert werden sollen.

Die Rolle der IP-Juristen kann dabei die der zentralen Koordinatoren zukommen. Um die Einhaltung von Nachhaltigkeitskommunikation sachgerecht einschätzen zu können, werden diese sich wohl oder übel tiefer in die Nachhaltigkeitsdatenerfassung und -interpretation einarbeiten müssen.

2. Die Green Claims-Richtlinie

Das wohl wichtigste Gesetzesvorhaben der EU im Kampf gegen Greenwashing sieht sich momentan einer ungewissen Zukunft gegenüber: die Green Claims-Richtlinie.8

a) Zum Stand der Green Claims-Richtlinie

Ursprünglich im März 2023 vorgeschlagen, sollte die Green Claims-Richtlinie der Gamechanger im Bereich umweltbezogener Werbeaussagen werden, war aber von Beginn an umstritten. Sie sollte spezifische Vorgaben für die Begründung, Nachprüfbarkeit und Kommunikation von ausdrücklichen Umweltaussagen festlegen. Kernpunkte waren die Notwendigkeit, Green Claims mittels eines Bündels wissenschaftlicher Daten nachweisen zu können, diese Daten umfangreich in Form eines (ggf. digitalen) “Beipackzettels” den Verbrauchern zur Verfügung zu stellen (vgl. insbesondere Art. 5 Green Claims-RL-E) und die Abschaffung nicht-staatlicher Umweltsiegel. Weiteres zentrales Erfordernis – und zentraler Streitpunkt – war die Notwendigkeit, sämtliche umweltbezogenen Aussagen vor ihrer Markteinführung durch eine unabhängige Stelle (“Verifikator”) überprüfen zu lassen. Bevor eine Aussage in der Werbung getroffen werden konnte, sollte sie daher durch eine unabhängige Prüfung gehen und “freigegeben” werden müssen.

Am 20.6.2025 kündigte die Europäische Kommission jedoch ihre Absicht an, den Vorschlag für die Green Claims-Richtlinie zurückzuziehen. Dies erfolgte nach Kritik insbesondere der Europäischen Volkspartei (EPP), die die Anforderungen, vor allem die Ex-ante-Verifizierung, als übermäßig komplex, administrativ belastend und kostspielig sowie als Hindernis für Nachhaltigkeitskommunikation ansah. Die für wenige Tage später geplante finale Trilog-Sitzung wurde abgesagt. Anfang Juli 2025 gab es dann wiederum versöhnlichere Zeichen der EU-Kommission: Man habe die Green Claims-Richtlinie nicht vollständig zurückziehen wollen, sondern dies nur für den Fall angekündigt, dass Kleinstunternehmen hiervon nicht ausgenommen werden würden. Eine Position, die ebenso überrascht wie die Ankündigung der Rücknahme selbst, da Ausnahmen für KMU von allen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten gefordert worden waren.

Sah es daher lange so aus, als werde die Green Claims-Richtlinie trotz aller Widerstände aus (insbesondere, aber nicht nur) der Wirtschaft kommen, steht momentan in den Sternen, wie es mit ihr weitergeht.

b) Auswirkungen

Insbesondere das Erfordernis der ex ante-Verifikation und die Notwendigkeit, Verbrauchern umfangreiche Informationen zur Verfügung zu stellen, würden sich wohl massiv auf die Abläufe in Unternehmen zur Gestaltung und Kommunikation von Produkten und Produktverpackungen auswirken.

Zunächst müsste auf der Verpackung Platz für den “Beipackzettel” geschaffen werden. Platz ist aber insbesondere bei Produkten, die mit einer einheitlichen Verpackung in mehreren Ländern vertrieben werden sollen, bereits jetzt eine rare Ressource.9 Neben Angaben zu Verwendungszweck und Benutzungsanweisungen müssen häufig nationale Sicherheits- und Entsorgungshinweise angebracht werden. Manche Länder verlangen zudem, dass zahlreiche Angaben in der jeweiligen Landessprache angebracht werden müssen – etwa Frankreich, aber auch Belgien mit seinen drei Amtssprachen. Der “Beipackzettel” hätte daher wohl ebenfalls einen Einfluss auf die Produkt- bzw. Verpackungsgestaltung und damit auf (charakteristische) Aufmachungselemente, die potenziell über IP-Rechte oder zumindest über den wettbewerblichen Leistungsschutz gegen Nachahmung geschützt sein könnten.

Dabei war keineswegs ausgemacht, dass der “Beipackzettel” in digitaler Form z. B. als QR-Code angebracht werden durfte. Je nach Produkt, Käufergruppe und Verkaufssituation musste vielmehr davon ausgegangen werden, dass eine physische Anbringung auf der Ware bzw. Verpackung selbst durchaus notwendig sein könnte (vgl. Art. 5 Abs. 6 Green Claims-RL-E), z. B. dort, wo vor dem Kauf keine oder nur eine eingeschränkte Möglichkeit (oder Bereitschaft) besteht, sich im Internet ausführlich zu informieren. Insbesondere “Spontankäufe” im Supermarkt wurden hier genannt.

Unternehmensintern würde es insbesondere erfordern, dass Prozesse implementiert sind, die sicherstellen, dass alle für die Kommunikation, Verifikation und den “Beipackzettel” erforderlichen Daten vorhanden sind und auf einer hinreichenden wissenschaftlichen Grundlage basieren. Diese Daten müssten – wie auch für die EmpCo-Richtlinie – mit allen relevanten Stakeholdern geteilt werden, insbesondere den Marketing- und Kommunikationsteams. Da Verbraucher direkt auf die Daten zugreifen sollen, müsste sichergestellt sein, dass die Daten stets abrufbar sind (der QR-Code also nichts ins Leere führt), produktspezifisch korrekt verlinkt sind und stets aktuell gehalten werden. Je nach Produkt könnte dies auch erfordern, dass für einzelne Produktgenerationen, Modelle oder sogar Chargen unterschiedliche Informationen bereitgestellt werden müssten – eine nicht zu unterschätzende Aufgabe für die IT-Infrastruktur.

Das Erfordernis der ex ante-Verifikation hätte hingegen weniger Auswirkung auf die Produktgestaltung gehabt als auf die Abläufe, die vorausgehen müssten. Allerdings hätte wohl ein Hinweis auf die Verifikation angebracht werden müssen (in etwa eine Prüfnummer); hierbei war weitgehend offen, wie dies umgesetzt werden sollte. Auf bestehende IP-Rechte hätte dies aber wohl nur Einfluss gehabt, wenn etwa ein Slogan markenrechtlich geschützt ist, der den Anforderungen an eine Verifikation nicht standgehalten hätte. Wäre etwa der bekannte Claim “Vorsprung durch Technik” in einer Werbung verwendet worden, in der auch umweltbezogene Aspekte der beworbenen Autos herausgestellt würden, hätten hieran Zweifel aufkommen können.

Daher wäre nicht auszuschließen – eher sogar wahrscheinlich – gewesen, dass die Green Claims-Richtlinie dazu geführt hätte, dass verschiedene eingetragene Marken nicht oder nicht mehr in sämtlichen Umständen hätten verwendet werden dürfen. Auch unter Geltung “nur” der EmpCo-Richtlinie besteht diese Gefahr zumindest in gewissen Aspekten.10

c) Ausblick

Ob die Green Claims-Richtlinie noch kommt (und wenn ja, in welcher Form), ist momentan ungewiss. Die starke Abwehrreaktion verschiedener EU-Institutionen gegen die Aufgabe des Projekts, die sich hauptsächlich gegen die Art und Weise der Rücknahme durch die Kommission richteten, und die anschließende Relativierung der eigenen Rücknahme durch die Kommission11 lassen dabei vermuten, dass das Vorhaben noch nicht vollständig aufgegeben ist.

Ohnehin muss festgestellt werden, dass unabhängig davon, ob die Green Claims-Richtlinie noch kommt oder nicht, sich ihre beiden Hauptpunkte in der ein oder anderen Weise auch an anderen Stellen finden lassen. Sowohl das Erfordernis, Behauptungen deutlich stärker als bislang auf der Grundlage umfangreicher (Umwelt-)Daten nachweisen zu können als auch der Ansatz, bereits “präventiv” einzugreifen, findet sich in verschiedenen weiteren Rechtsakten. Beispielsweise der Vorschlag zur Green Claims-Richtlinie (COM(2023) 166 final) aus März 2023 sowie die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL 2005/29/EG) und die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (2006/114/EG) regeln auch irreführende Werbung im Umweltkontext. Zusätzlich grenzt auch das EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) der Europäischen Kommission irreführende Umweltaussagen ein. Die Tendenz hin zu dieser engmaschigen, normativen Einhegung lebt daher auch andernorts fort und wird sich vermutlich in immer stärker werdender Form auch in weiteren Rechtsakten wiederfinden.

3. Die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte

Ein anderes Feld als die (umweltbezogene) Kommunikation von Produkten regelt die Ökodesign-Verordnung,12 auch ESPR genannt (“ecodesign requirementes for sustainable products regulation”). Diese trat am 18.7.2024 in Kraft und gilt unmittelbar in allen EU-Staaten. Sie ersetzt die bisherige Ökodesign-Richtlinie (2009/125/EG) und erweitert deren Anwendungsbereich erheblich. Während die alte Richtlinie nur energieverbrauchsrelevante Produkte abdeckte, gilt die ESPR für nahezu alle physischen Waren, die in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, mit wenigen Ausnahmen wie Lebensmitteln und Arzneimitteln.

a) Anforderungen der ESPR

Ziel der ESPR ist es, die ökologische Nachhaltigkeit von Produkten über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu verbessern und nachhaltige Produkte zur Norm zu machen. Die Verordnung ermöglicht die Festlegung von Leistungs- und Informationsanforderungen für Produkte, die Aspekte wie Haltbarkeit, Zuverlässigkeit, Wiederverwendbarkeit, Nachrüstbarkeit, Reparierbarkeit, einfache Wartung, Aufarbeitung, Recyclingfähigkeit, den Einsatz von Rezyklaten, den CO2– und Umweltfußabdruck sowie das Vorhandensein besorgniserregender Stoffe umfassen. Ein viel beachteter Bestandteil ist auch das Verbot der Vernichtung unverkaufter Verbraucherprodukte, das ab dem 19.7.2026 für Großunternehmen und ab dem 19.7.2030 für mittelständische Unternehmen gilt. Dies wird voraussichtlich einen starken Einfluss auf Branchen wie Textilien und Schuhe haben.

Welche konkreten Vorgaben für welche Produkte genau gelten werden, ist bislang noch unbestimmt. Die ESPR überträgt der Kommission die Befugnis, delegierte Rechtsakte für die Konkretisierung zu erlassen. Es wird damit gerechnet, dass insbesondere Textilien und Schuhe, Möbel, Eisen, Stahl und Aluminium sowie Reinigungsmittel (Detergenzien) und Chemikalien als erste konkrete Regelungen erfahren werden.13

Perspektivisch werden aber – entsprechend dem Anwendungsbereich der ESPR – sämtliche Produkte zumindest potenziell geregelt werden und damit für alle diese Produkte Anforderungen aufgestellt. Werden diese dann nicht erfüllt, dürfen diese Produkte nicht mehr vertrieben werden. Der Katalog der Kategorien an Ökodesign-Anforderungen ist in Art. 5 ESPR geregelt und durchaus umfangreich.

b) Im Zusammenhang: Die Richtlinie zum Recht auf Reparatur

Eng mit der ESPR verbunden ist auch die Richtlinie zum “Recht auf Reparatur”14 vom 13.6.2024, die bis 31.7.2026 umzusetzen und dann auch direkt anzuwenden ist. Sie ergänzt die bestehende Richtlinie (EU) 2019/771 über Warenkaufrechte, indem sie sowohl innerhalb als auch außerhalb der gesetzlichen Gewährleistungsfrist neue Verpflichtungen und Anreize für Reparaturen schafft. Verkäufer müssen künftig während der gesetzlichen Gewährleistung vorrangig Reparaturen statt Ersatz anbieten, sofern dies für den Verbraucher nicht unzumutbar ist. Darüber hinaus wird ein europaweit einheitlicher “Reparatur-Informationsbogen” eingeführt, der Transparenz über Reparaturbedingungen, -kosten und -dauer schaffen soll.

Außerhalb der Gewährleistungspflicht verpflichtet die Richtlinie Hersteller bestimmter Produktkategorien (z. B. Haushaltsgeräte und Smartphones, vgl. Anhang II der RL) zur Reparatur, sofern dies technisch möglich ist. Ziel ist es, den Wettbewerb zwischen Reparaturbetrieben zu stärken und grenzüberschreitende Reparaturdienstleistungen zu erleichtern. Die Richtlinie sieht außerdem vor, dass Mitgliedstaaten Online-Plattformen für Reparaturdienste einrichten, um Verbraucher besser mit Anbietern zu vernetzen. Insgesamt soll die Richtlinie die Position der Verbraucher stärken, Elektroschrott reduzieren und die Kreislaufwirtschaft im Sinne des europäischen Green Deals weiter fördern.

c) Auswirkungen

Die ESPR verlagert den Fokus von der reinen Energieeffizienz auf einen ganzheitlichen Produktlebenszyklusansatz. Dies bedeutet, dass unternehmerische (Produkt-)Designentscheidungen nun direkte rechtliche Auswirkungen auf die Umweltleistung haben, was eine frühzeitige Einbindung der IP-Abteilungen in F&E- und Produktentwicklungsprozesse erforderlich macht. Nur dann kann von Anfang an strategisch geplant und bedacht werden, wie welche Elemente IP-rechtlich geschützt werden können. Ebenso kann nur bei einer frühen Einbindung strategisch analysiert werden, ob bestimmte Elemente mit Blick auf die Ökodesign-Anforderungen und den möglichen IP-Schutz noch einmal anders gestaltet werden sollten.

Die Ausweitung des Geltungsbereichs auf nahezu alle Produkte erfordert von Unternehmen eine Neubewertung ihrer gesamten Produktportfolios hinsichtlich Nachhaltigkeitskriterien. Die detaillierten Ökodesign-Anforderungen (z. B. Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit) zwingen zu einer Umgestaltung von Produkten, was wiederum Patente, Designs und Know-how betrifft. Die IP-Abteilung muss daher proaktiv mit Produktentwicklungsteams zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass neue Designs und Technologien den ESPR-Anforderungen entsprechen und gleichzeitig schutzwürdige Innovationen identifiziert und gesichert werden.

Andersherum stellt sich aber die Frage: Wenn mit der ESPR und der Recht-auf-Reparatur-Richtlinie zahlreiche Anforderungen an die Gestaltung und die Funktionen von Produkten gestellt werden, welche Auswirkungen hat dies auf Elemente, die mittels eigener IP-Rechte geschützt sind, z. B. mittels Patent- oder Designrechten? Müssen diese quasi als “Branchenstandard” den Wettbewerbern (unentgeltlich?) zur Verfügung gestellt werden? Hat Hersteller A beispielsweise ein besonders energieeffizientes Set-up für seine Waschmaschinen entwickelt, wäre denkbar, dass die ESPR dieses Feature für alle Waschmaschinen vorschreibt.

Zum einen ist aber nicht unbedingt damit zu rechnen, dass konkrete Features oder konkrete Lösungen durch die ESPR und deren delegierte Rechtsakte vorgegeben werden, sondern nur das Erreichen bestimmter Zielwerte, z. B. ein bestimmter maximaler Stromverbrauch. Wie diese Zielwerte erreicht werden, bleibt voraussichtlich aber weiterhin den einzelnen Herstellern überlassen.

Zum anderen ist nicht damit zu rechnen, dass über IP-Rechte geschützte Elemente oder Lösungen “freigegeben” werden müssen, weil die Kommission bestimmte Elemente, Funktionen oder Eigenschaften als gesetzliche Anforderung festlegt. Die ESPR adressiert dieses Problem zwar nicht im Detail. Der Schutz der Rechte geistigen Eigentums wird lediglich in einigen wenigen Passagen angesprochen, insbesondere in Erwägungsgrund 74 sowie in Art. 25 Abs. 5 f) ESPR, nach dem es weiterhin möglich sein kann, Produkte für unverkäuflich zu erklären und zu vernichten, wenn sie gegen geistige Eigentumsrechte verstoßen. Dies schließt Fälschungen explizit mit ein. Insbesondere in Anhang I der ESPR, der die Produktparameter festlegt, wird jedoch genannt, dass die “Bedingungen für den Zugang zu oder die Nutzung von Technologien, die durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind” als Parameter für die Einschätzung der einfachen Nachrüstbarkeit, Wiederverwendung, Wiederaufarbeitung und Instandsetzung – kurz: der Reparierbarkeit – eine Rolle spielen. Mit anderen Worten könnte ein Produkt als schlecht oder nicht reparierbar eingestuft werden, wenn die Reparatur aufgrund von IP-Rechten verboten werden kann. Damit setzt die ESPR aber auch voraus, dass diese IP-Rechte “uneingeschränkt” weiterhin gelten und nicht etwa in ihrem Schutzbereich beschnitten werden oder z. B. unter FRAND-Gesichtspunkten zwingend auslizenziert werden müssen.

Gleichzeitig kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Produkte die (zukünftig noch festzulegenden) Reparierbarkeitsanforderungen nur erfüllen können, wenn hierzu entweder eigene IP-rechtlich geschützt Elemente umgestaltet werden, Dritten (etwa Anbietern im Aftermarket-Bereich) Zugang zu bestimmten Informationen oder Technologien gewährt wird, oder man selbst auf die Lizensierung einer für einen Dritten geschützten Lösung angewiesen wird – zumindest bis man eine proprietäre Lösung entwickelt hat. Daher besteht durchaus eine Gefahr, dass insbesondere die ESPR die Verhältnisse im Aftermarket-Bereich gehörig durcheinanderbringt und die eigenen IP-Rechte hierfür eventuell keinen ausreichenden Schutz bieten können. Denn die eigenen IP-Rechte garantieren natürlich nicht, dass damit die ESPR-Anforderungen erfüllt werden.

4. Der digitale Produktpass

Die ESPR führt zudem einen Digitalen Produktpass (DPP)15 ein, der als digitale Visitenkarte für Produkte dient und relevante Informationen zur Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit speichert. Er ist ein zentrales Element der Ökodesign-Verordnung und für viele Produktgruppen obligatorisch. Die ersten Produktgruppen, die einen DPP benötigen werden, sind voraussichtlich Batterien, Textilien und Elektronik.

Der DPP wird eine Fülle von Informationen enthalten, darunter Angaben zu Herkunft, Materialien, Umweltauswirkungen, Energieeffizienz, Konformitätsdokumenten, Kreislaufinformationen, Entsorgungsrichtlinien, Reparaturaktivitäten und technischen Leistungsmerkmalen. Diese Daten werden in einem zentralen DPP-Register gespeichert, das bis zum 19.7.2026 betriebsbereit sein soll. Der Zugang zu diesen Informationen soll über Datenträger wie QR-Codes oder NFC-Tags, die am Produkt, der Verpackung oder in Begleitdokumenten angebracht sind, einfach und kostenlos möglich sein.

Die Zugangsrechte zu dem DPP, d. h. welche Gruppe welche darin gespeicherten Informationen einsehen kann, werden gestaffelt sein. Die ESPR nennt als Gruppen insbesondere (Art. 11 lit. b) ESPR) Kunden, Hersteller, Händler, fachlich kompetente Reparateure, unabhängige Wirtschaftsteilnehmer, Instandsetzungsbetriebe, Wiederaufbereitungsunternehmen, Recyclingunternehmen, Marktüberwachungs- und Zollbehörden, zivilgesellschaftliche Organisationen und andere maßgebliche Akteure – mithin ein sehr breites Spektrum an potenziell Berechtigten.

Der DPP transformiert die Produktinformation von einem statischen, internen Dokument zu einem dynamischen, digital zugänglichen Asset, das mit gestuften Zugriffsrechten versehen ist. Dies erfordert eine grundlegende Umstellung der Datenverwaltung und der IT-Infrastruktur hin zu interoperablen, maschinenlesbaren Formaten. Unternehmen müssen ihre internen Systeme anpassen, um die erforderlichen Daten über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg konsistent zu erfassen, zu pflegen und bereitzustellen. Dies umfasst die Zusammenarbeit mit Lieferanten, um Daten zur Materialzusammensetzung und Herkunft zu erhalten.

Eine der größten Herausforderungen im Zusammenhang mit dem DPP ist das Spannungsfeld zwischen der geforderten Transparenz und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Die DPP-Anforderungen könnten Unternehmen dazu zwingen, Details über ihre Herstellungsprozesse, Materialzusammensetzungen oder andere vertrauliche Umstände offenzulegen, die bisher als Geschäftsgeheimnisse geschützt waren. Gleichwohl erwähnt die ESPR den Begriff der Geschäftsgeheimnisse nur ein einziges Mal (nämlich in Erwägungsgrund 74) und geht in der Sache überhaupt nicht auf diesen Konflikt ein.

Die Balance zwischen DPP-Transparenz und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist eine Herausforderung, ähnlich wie unter dem Data Act.16 Unternehmen müssen genau prüfen, welche Informationen für den DPP zwingend erforderlich sind und unter welchen Bedingungen bzw. an welche Gruppen diese zur Verfügung gestellt werden müssen. Das interne Schutzsystem muss darauf angepasst werden, soll der rechtliche Schutz, den das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) bieten kann, nicht an den darin aufgestellten Anforderungen wie insbesondere dem der “angemessenen Schutzmaßnahmen” scheitern. Hierzu fehlen bislang konkrete Leitlinien. Es ist aber geplant, dass der Zugang zu DPP-Informationen reguliert wird, mit spezifischen Zugriffsstufen für verschiedene Gruppen. Es entsteht somit ein Bedarf für ausgeklügelte Daten-Governance- und Zugriffssteuerungsmechanismen.

Sind Informationen betroffen, die schutzwürdiges Know-how darstellen, muss auch eine strategische (Neu-)Bewertung befolgen, ob der Schutz als Geschäftsgeheimnis (weiterhin) die erste Wahl darstellt, oder ob vor dem Hintergrund einer drohenden Veröffentlichung andere Schutzrechte (etwa Patente, Gebrauchsmuster oder Designs) möglich und vorteilhaft(er) sind. Der IP-Abteilung sollte eine Schlüsselrolle bei der Bewertung dieser Grenzen und bei der strategischen Ausrichtung zukommen, um eine unbeabsichtigte Offenlegung zu verhindern oder Ansprüche wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen gegen Wettbewerber, die auf DPP-Daten zugreifen, zu verfolgen.

5. Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (PPWR)

Schließlich sei noch die Verordnung (EU) 2025/40 über Verpackungen und Verpackungsabfälle (PPWR) angesprochen. Diese wurde am 19.12.2024 verabschiedet und trat am 11.2.2025 in Kraft, ihre Bestimmungen gelten ab dem 12.8.2026. Sie ersetzt die bisherige Richtlinie 94/62/EG und zielt darauf ab, die Umweltauswirkungen von Verpackungen zu minimieren, Verpackungsabfälle zu reduzieren und die Wiederverwendung, das Recycling und die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Sie gilt für alle Verpackungen, die auf dem EU-Markt in Verkehr gebracht werden.

Die PPWR stellt umfassende Anforderungen an Verpackungsdesign, Recyclingfähigkeit und Rezyklatanteile. Ab dem 1.1.2030 gilt dabei unter anderem auch, dass Gewicht und Volumen von Verpackungen auf das zur Funktionsfähigkeit erforderliche Minimum reduziert sein müssen. Dies schließt das Verbot von “Mogelpackungen” und übermäßigem Leerraum ein. Ab August 2028 müssen zudem EU-weit Piktogramme zu Inhaltsstoffen und Entsorgung verwendet werden, ab 2030 müssen Informationen über besorgniserregende Stoffe auf Verpackungen ergänzt werden.

Auch die PPWR wird sich daher direkt auf das Verpackungsdesign auswirken und damit auf die marken-, design- oder wettbewerbsrechtlich geschützten Elemente. Die neuen Anforderungen an Verpackungsdesigns – insbesondere das Verbot von “Mogelpackungen” – kann dabei weitergehend auch dazu zwingen, etablierte Verpackungsdesigns zu überarbeiten. Dies kann dazu führen, dass geschützte Designmerkmale oder die Wiedererkennbarkeit von Marken, die eng mit der Verpackungsform verbunden sind, beeinträchtigt werden. Auch hier sollte daher so früh wie möglich die Abstimmung zwischen IP-Abteilung, F&E/Produktentwicklung und Marketing gesucht werden, um sich auf die neuen Vorschriften einzustellen und für die Zukunft aufzustellen.

Dabei ist zu beachten, dass Ausnahmen von den Verboten greifen, soweit diese vor dem 11.2.2025 als Design oder Marke registriert waren, sofern die Minimierung den Neuheitswert oder den individuellen Charakter des Designs bzw. die Unterscheidungskraft der Marke beeinträchtigen würde. Für neue Verpackungen gilt diese Ausnahme nicht. Eventuell kann daher eine Art “Bestandsschutz” weiterhelfen.

III. Chancen durch proaktive Umsetzung

Obwohl die geltenden sowie geplanten EU-Umweltgesetze und -normen erhebliche Herausforderungen mit sich bringen, bieten sie Unternehmen auch strategische Chancen. Ein proaktiver Umgang mit diesen Regulierungen kann zu einer Stärkung der Wettbewerbsposition führen.

1. Strategische Nutzung der Rahmenbedingungen

Die strengeren Anforderungen an Umweltaussagen und -kennzeichnungen, wie sie insbesondere die EmpCo-Richtlinie verlangt und vielleicht auch in der Green Claims-Richtlinie aufgestellt werden, fördern einen fairen Wettbewerb und stärken im Idealfall das Verbrauchervertrauen. Unternehmen, die sich glaubwürdig und nachweislich nachhaltig positionieren, können sich von Wettbewerbern abheben und eine stärkere Markenreputation aufbauen. Verbraucher sollten – wenn der Plan der EU aufgeht – zunehmend fundierte Kaufentscheidungen auf der Grundlage glaubwürdiger Umweltinformationen treffen, was Unternehmen belohnt, die tatsächliche Fortschritte bei der Nachhaltigkeit erzielen. Auch sollte überlegt werden, aktiver als bislang gegen Wettbewerber vorzugehen, die diese Regelungen nicht einhalten.

Die EU-Umweltgesetzgebung stimuliert zudem Innovation und F&E im Bereich grüner Technologien. So sehen etwa auch die kartellrechtlichen Horizontalleitlinien inzwischen explizit Erleichterungen für die Zusammenarbeit im F&E-Bereich bei Nachhaltigkeitsvereinbarungen vor.17 Eine proaktive IP-Strategie im Bereich grüner Entwicklungen kann nicht nur zu einem “First-Mover-Advantage” führen, sondern auch dazu, etwa den Ökodesign-Vorgaben einen Schritt voraus zu sein und so eigene IP-Rechte strategisch einsetzen zu können.

Die Regulierungen, insbesondere der ESPR und der PPWR, sollten auch Anlass dazu geben, über die Entwicklung und Implementierung neuer Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft nachzudenken. Das betrifft etwa die Bereiche der Aufbereitung gebrauchter Produkte (Refurbishment) ebenso wie Wartung, Reparatur und Recycling. Anstatt zu versuchen, den Aftermarket abzuschotten, muss eventuell über Kooperationen oder eigene Geschäftsmodelle nachgedacht werden, um an diesen Märkten teilzuhaben, anstatt sie von Dritten besetzen zu lassen. Bislang gibt es zwar z. B. noch keine “Bereichsausnahme” für die Nutzung der Original-Marken im Refurbished-Bereich;18 mit zunehmendem Verbraucherinteresse in diesen Bereichen wird sich aber auch die Grenze dessen verschieben, was Markeninhaber unter dem Oberbegriff der Erschöpfung werden hinnehmen müssen.

Das bietet nicht nur Risiken, sondern kann Unternehmen auch neue Einnahmequellen und Möglichkeiten eröffnen, sich als Vorreiter der Nachhaltigkeit zu positionieren. Darüber hinaus wird die ESPR die Einführung verbindlicher Regeln für die grüne öffentliche Beschaffung (Green Public Procurement) ermöglichen, was für Unternehmen, die nachhaltige Produkte anbieten, neue Marktzugänge und Geschäftsmöglichkeiten schafft.

2. Insbesondere: Der digitale Produktpass (DPP)

Insbesondere der DPP dürfte bei allem Aufwand, den er verursacht, auch Chancen mit sich bringen:

Die erhöhte Transparenz und der Datenzugang durch den DPP können zunächst die Zusammenarbeit innerhalb der Lieferketten verbessern, Prozesse verschlanken und branchenweite Innovationen beschleunigen. IP-Rechte können hier strategisch lizenziert oder geteilt werden, um die grüne Transformation über Wertschöpfungsketten hinweg voranzutreiben.

Gleichzeitig bietet der DPP auch die Chance, die eigenen Produkte und die Produkte von Wettbewerbern besser vergleichen zu können und so auf Alleinstellungsmerkmale des eigenen Produkts besser hinweisen zu können.

Schließlich sollte auch betrachtet werden, dass der DPP das Potenzial hat, ein echter Gamechanger gegen Produktfälschungen zu werden. Sein Ziel ist es zwar nur, Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit zu fördern. Diese Transparenz kann aber zugleich ein wirksames Mittel dafür sein, gegen Produktfälschungen und Nachahmungen vorzugehen. Denn so kann auch für Verbraucher direkt ersichtlich sein, woher ein Produkt kommt und ob es eine Fälschung ist. Werden im DPP unzutreffende Angaben gemacht, bietet die ESPR neue Möglichkeiten, gegen Nachahmer und Importeure vorzugehen. Insbesondere die zur Überwachung des DPP bestimmten Behörden können so – neben den Zivilgerichten, den Strafverfolgungsbehörden und den Zollbehörden – als weiteres Werkzeug der Durchsetzung in die eigene IP-Strategie eingebunden werden, ähnlich wie bereits oftmals ein Vorgehen gegen Intermediäre wie Plattformen oder auch einen Produktsicherheitsverantwortlichen19 dazu führen kann, effektiv gegen juristisch schwer greifbare Verletzer im Ausland (etwa China) vorgehen zu können.

Hierzu sollte die Implementierung des DPP im eigenen Unternehmen aber von Anfang an als Teil der IP-Strategie gesehen werden und nicht nur unter den Aspekten Compliance und Lieferkette.

IV. Fazit

Die Überschneidung von IP- und ESG-Thematiken, insbesondere im Umweltbereich, wird für Unternehmen in der EU eine der prägendsten Entwicklungen der kommenden Jahre darstellen, sowohl aufgrund der bestehenden und kommenden Gesetzgebung als auch aufgrund der sich weiter wandelnden Verbrauchererwartungen. Die momentane “Abkühlung” des Enthusiasmus für den Green Deal wird daran nichts ändern, die Wirklichkeit wird auch hier die Politik wieder einholen.

Der regulatorische Rahmen, den insbesondere die EU etwa mit der EmpCo-Richtlinie, der ESPR, der Verpackungsverordnung und vielen weiteren Regelungen – von Berichtspflichten über die Entwaldungs-VO bis hin zu Taxonomie- und Investmentregelungen – bereits geschaffen hat und noch schaffen wird, sollte holistisch betrachtet werden.

Die Herausforderungen sind dabei vielfältig: Unternehmen müssen ihre Werbeaussagen wissenschaftlich untermauern, ihre Verpackungsdesigns an strenge Minimierungs- und Recyclingvorgaben anpassen und sich auf die umfassende Datenerfassung und -bereitstellung durch den DPP vorbereiten.

Unternehmen, die sich proaktiv auf die neuen Anforderungen einstellen, offenbaren sich aber auch zahlreiche Chancen: Sie können ihre Markenreputation stärken, das Vertrauen der Verbraucher gewinnen und sich durch echte Nachhaltigkeit am Markt differenzieren. Die Gesetzgebung fördert Innovationen in grünen Technologien und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft, die mit einer proaktiven IP-Strategie geschützt und kommerzialisiert werden können.

Ein strategischer und vorausschauender Umgang mit der Schnittstelle von IP und ESG wird daher für Wirtschaftsunternehmen nicht nur eine Frage der Compliance sein, sondern ein entscheidender Faktor für zukünftigen Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Binnenmarkt.

Dr. Fabian Klein, RA, im Bereich IP bei Pinsent Masons am Standort Frankfurt a. M. Er berät internationale und nationale Mandanten insbesondere zu Fragen des Marken- und Wettbewerbsrechts. Ein Schwerpunkt bildet dabei die strategische Beratung zum auch ungewöhnlichen Einsatz von Marken und Marketingkampagnen.


*

Für die zugrundeliegende Recherche zu diesem Beitrag wurde punktuell auf die KI Gemini Research zurückgegriffen.

2

RL (EU) 2024/825 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.2.2024 zur Änderung der RL 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und durch bessere Informationen, ABl. L 2024/825, 16.

3

RL 2005/29/EG, ABl. L 2005/149, 22.

4

RL 2011/83/EU, ABl. L 2011/304, 64.

5

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (Regierungsentwurf, nachfolgend: UWG-E), unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RegE/RegE_
UWG_
Aend3.pdf?_
_
blob=publicationFile&v=5 (Abruf: 6.10.2025).

6

Vgl. grundlegend BGH, 27.6.2024 – I ZR 98/23, BB 2024, 2448, WRP 2024, 928 – klimaneutral.

7

Vgl. OLG Frankfurt a. M., 10.11.2022 – 6 U 104/22, WRP 2023, 211; BGH, 27.6.2024 – I ZR 98/23, BB 2024, 2448, WRP 2024, 928 – klimaneutral.

8

COM(2023) 166 final, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation (Richtlinie über Umweltaussagen), 2023/0085(COD).

9

Bislang wenig Beachtung gefunden hat auch die Vorgabe der EmpCo-RL zur Einführung zweier neuen Labels für Gewährleistungsrechte und Haltbarkeit. Hierzu hat die EU-Kommission am 30.6.2025 eine Beteiligung gestartet, vgl. https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/14562-Consumer-rights-EU-label-on-product-durability-and-EU-notice-on-legal-guarantees-for-consumers_
en (Abruf: 6.10.2025).

10

Vgl. etwa die Darstellung bei Kendziur/Heuser GRUR-Prax 2024, 523.

11

Vgl. etwa ESG News v. 30.6.2025 unter https://esgnews.com/eu-commission-confirms-green-claims-directive-not-withdrawn/ (Abruf: 6.10.2025).

12

VO (EU) 2024/1781 des Europäischen Parlaments und des Rates vom. 13.6.2024 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Produkte, ABl L 2024/1781, 89.

13

Vgl. Umwelt Bundesamt v. 3.7.2024, unter https://www.umweltbundesamt.de/themen/neue-oekodesign-verordnung-fuer-nachhaltige (Abruf: 6.10.2025).

14

RL (EU) 2024/1799 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.6.2024 über gemeinsame Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren und zur Änderung der VO (EU) 2017/2394 und der RL (EU) 2019/771 und (EU) 2020/1828, ABl. L 2024/1799, 20.

15

Kapitel III der ESPR, s. dort insb. Art. 9 und 10, sowie Anhang III ESPR.

16

Vgl. etwa Pauly/Wichert/Baumann, MMR 2024, 211.

17

Vgl. die Horizontal-Leitlinien (Mitteilung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit des Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (2023/C 259/01) vom 21.7.2023, dort Abschnitt 9, ABl. C 2023/259, 1.

18

Vgl. etwa die Darstellung bei Poppert, GRUR-Prax 2025, 409 sowie Nordemann-Schiffel, GRUR 2025, 129.

19

Vgl. etwa die Entscheidung OLG Frankfurt a. M., 16.3.2023 – 6 U 189/22, BB 2023, 2194 mit BB-Kommentar Schucht, BB 2023, 2195.