Lebensmittel Zeitung 36 vom 05.09.2025 Seite 26
„Wir hoffen, dass das Kartellamt einschreitet“
Franz-Olaf Kallerhoff, Präsident des Markenverbands, im LZ-Sommerinterview über europäische Einheitspreise, Edeka und notwendige Entlastungen
Die Markenartikelindustrie ist mit der Bundesregierung nicht zufrieden und drängt auf Reformen. Verbandspräsident Franz-Olaf Kallerhoff nimmt aber auch das Bundeskartellamt in die Pflicht, wenn es um Machtmissbrauch geht, und übt bei Temu, Shein & Co. den Schulterschluss mit der Handelsbranche.
Herr Kallerhoff, Bundeskanzler Friedrich Merz hat einen „Herbst der Reformen“ angekündigt. Was sollte aus Ihrer Sicht oben auf der Agenda stehen?
Unsere Mitgliedsunternehmen sind nicht zufrieden mit der Zwischenbilanz der Bundesregierung, weder im Mittelstand noch bei den großen Unternehmen. Wir spüren weder Aufbruchstimmung noch sehen wir, dass notwendige Reformen für einen Aufschwung messbar vorankommen – etwa beim Bürokratieabbau oder den Unternehmenssteuern. Auch bei den Themen Machtmissbrauch in der Lebensmittellieferkette und Maßnahmen gegen Markenpiraterie sind die Erwartungen hoch. Der Zollstreit und die Entwicklungen um den Krieg in der Ukraine haben verständlicherweise Energie von nationalen Themen abgezogen. Es ist jetzt aber Zeit, die versprochenen Reformen umzusetzen. Union und SPD sind zum Gelingen verpflichtet.
Entlastungen wurden etwa beim Lieferkettengesetz (LkSG) in Aussicht gestellt. Sind Sie mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zufrieden?
Es nutzt wenig, die Berichtspflichten abzuschaffen, aber die gesetzlichen Sorgfaltspflichten so zu belassen, dass der Handel und Nichtregierungsorganisationen dieselben Berichte durch die Hintertür einfordern können. Und die Bundesregierung muss ein europäisches Level-Playing- Field gewährleisten, auch wenn dafür das LkSG komplett abgeschafft werden muss.
Europaweite Regeln will Brüssel mit der Binnenmarktstrategie forcieren. Die Kommission plant darin „territoriale Lieferbeschränkungen“ zu regulieren, um ungerechtfertigte Preisunterschiede bei Konsumgütern in der EU zu verhindern…
Es kann keine Einheitspreise in Europa geben, weil es auch keine Einheitskosten gibt. Unterschiedliche Produktionsstandorte führen zu unterschiedlichen Kosten, und auch die Gegenleistungen der Händler sind innerhalb Europas nicht vergleichbar. Manche Politiker gehen bei der Debatte um die sogenannten „Territorial Supply Constraints“ davon aus, dass die Verbraucher 14 Mrd. Euro einsparen könnten, wenn die Handelskonzerne in jedem Land Waren zum jeweils günstigsten Preis aus einem der 27 Mitgliedsstaaten einkaufen könnten. Das ist falsch.
Wirklich? In Österreich spricht die Wettbewerbsbehörde von Preisaufschlägen von 10 bis 20 Prozent gegenüber dem deutschen Niveau.
In Wahrheit geht es bei der Diskussion um regionale Preisdifferenzierungen, die in unterschiedlichen Kostenstrukturen und Marktverhältnissen begründet sind. Welche Behörde soll festlegen, ob ein Preisunterschied gerechtfertigt ist? Das würde am Ende dazu führen, dass die Politik Einheitspreise und Verpackungsgestaltungen festlegt. Damit haben wir aber schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn in Brüssel zum Preis von Bukarest eingekauft wird, führt das dazu, dass die Produktion in Belgien runter- und in Rumänien hochgefahren wird. Eine Regulierung wäre nicht nur unsinnig, sie würde auch Arbeitsplätze in Hochlohnländern kosten. Auch ist fraglich, ob der Handel etwaige Einkaufsvorteile an die Verbraucher weitergeben würde. Eine Analyse der Monopolkommission zeigt, dass das nicht der Fall ist. Mit Blick auf Nonfood-Artikel würde sich zudem der Trend verstärken, dass sich Markenhersteller von klassischen Handelspartnerschaften verabschieden und verstärkt in den Direktvertrieb gehen.
Brüssel prüft auch Änderungen bei der Richtlinie gegen „unfaire Handelspraktiken in der Lebensmittellieferkette“ (UTP). Was fordert der Markenverband?
Wir halten weiterhin eine Verbandsklagebefugnis für erforderlich, weil viele Hersteller sich nicht trauen, ihre Handelspartner bei einer Behörde anzuzeigen. Sie fürchten um ihre Existenz. Der Missbrauch von Marktmacht muss in Deutschland und der EU entschlossener bekämpft werden.
Der Markenverband hat sich zu dem Verfahren beiladen lassen, das vom Kartellamt gegen Edeka wegen der Payback-Forderungen geführt wird. Was erwarten Sie von den Ermittlungen?
Das Bundeskartellamt muss hier gegen Edeka aktiv werden. Wir erwarten eine Untersagung, zumindest aber die Feststellung, dass die pauschalen Konditionsforderungen zur Payback-Einführung von Edeka gegenüber der Industrie rechtswidrig waren.
Aber Hersteller profitieren doch auch von den Marketingleistungen und Daten des Bonusprogramms?
Sie bezahlen Händler aber auch nicht dafür, einen Handzettel zu drucken und zu verteilen, sondern für eine konkrete Produktwerbung in dem Handzettel. Edeka forderte eine Mitfinanzierung des eigenen Loyaltyprogramms durch die Hersteller. Das ist mit der Forderung vergleichbar, sich an den Kosten für Filialrenovierungen zu beteiligen, die der Bundesgerichtshof untersagt hat. Wir hoffen, dass das Kartellamt hier einschreitet, am besten mit einer Anordnung zur Rückzahlung rechtswidrig verlangter Konditionen.
Das klingt, als blieben Handel und Industrie weiter auf Konfrontationskurs?
Der Eindruck täuscht. Markenindustrie und Handel arbeiten nicht nur im Alltagsgeschäft in aller Regel gut zusammen, sondern üben auch den Schulterschluss, etwa wenn es um gefälschte Markenprodukte, unsichere und minderwertige Waren geht, die über Plattformen wie Temu, Shein & Co. auf den europäischen Markt kommen. Diese Flut muss unbedingt eingedämmt werden. Das fordern wir in Allianz mit dem Handelsverband HDE vehement von der Politik in Berlin und Brüssel.
Bernd Biehl und Hanno Bender