Lebensmittel Zeitung 38 vom 19.09.2025 Seite 22
Neues Produkthaftungsrecht rĂĽckt in Sichtweite
Referentenentwurf zur Umsetzung der Brüsseler Vorgaben – Erweitertes Haftungsrisiko – Bagatellgrenze von 500 Euro fällt weg
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) setzt die EU-Produkthaftungsrichtlinie in deutsches Recht um. Verbraucherrechte werden gestärkt, Industrie und Handel müssen mit schärferen Haftungsregeln kalkulieren.
Nach mehr als 30 Jahren wird das Produkhaftungsgesetz generalüberholt. „Wer durch ein fehlerhaftes Produkt einen Sachschaden oder eine Körperverletzung erleidet, soll es künftig in vielen Fällen einfacher haben, Schadenersatz vom Hersteller zu erlangen“, fasst das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) das Ziel des Gesetzentwurfs zur „Modernisierung des Produkthaftungsrecht“ zusammen, der vergangene Woche veröffentlicht wurde.
„Der Produktbegriff umfasst nun auch Software und KI- basierte Produkte. Zudem können neben dem Hersteller nun auch dessen Bevollmächtigte, Importeure, Händler sowie Betreiber von Online-Marktplätzen und Fulfilment- Dienstleister in Haftung genommen werden“, erläutert Christiane Berr von der Kanzlei Dentons zwei Kernpunkte der Reform. Darüber hinaus sollen Beweiserleichterungen greifen. So können in einem Schadenersatzprozess mit dem sogenannten Discovery-Anspruch interne Unterlagen des Herstellers herausverlangt werden. Überdies fallen die Höchstschadensgrenze von 85 Mio. Euro und die Bagatellgrenze von 500 Euro Selbstbehalt künftig weg.
„Die Richtlinie erleichtert Geschädigten den Nachweis eines Produktfehlers. Auch scheinbar nachgelagerte Fehlerquellen wie Verpackung oder Logistik können zur Produkthaftung führen“, warnt Berr. Sie rät: „Unternehmen sollten sich vertraglich den Zugriff auf die technische Produktdokumentation sichern und diesen Zugriff regelmäßig testen.“ Andernfalls könnten Haftungsfälle drohen, etwa wenn ein Lebensmittelhändler Frischkäse unter einer Eigenmarke vertreibt, die Verpackung – nicht das Produkt – fehlerhaft ist, aber der Händler mangels Zugriffs auf die technischen Daten nicht nachweisen kann, dass der Verpackungslieferant für den Fehler verantwortlich war. „Ein Risikofaktor ist der fehlende Zugang zu sicherheitsrelevanten Produktinformationen“, betont Berr. „Um im Haftungsfalle gewappnet zu sein, sollten Pflichten zur Dokumentation und zur Offenlegung von sicherheitsrelevanten Informationen und Spezifikationen mit den Vorlieferanten vertraglich vereinbart werden“, so Berr.
Welche Auswirkungen der Wegfall der bisherigen Selbstbehaltgrenze von 500 Euro in der Praxis haben wird, ist offen: „Das ist eine Black Box. Niemand hat solche Fälle bislang erfasst, daher ist unklar, was auf die Unternehmen zukommt, wenn künftig zehn Jahre lang für einen 9-Euro-Schaden bei einem Föhn gehaftet werden muss“, urteilt Thomas Klindt. Der Produkthaftungsexperte sieht es als einen Pluspunkt des Entwurfs an, dass das BMJV den Discovery-Anspruch nur als Prozessinstrument im Rahmen eines Schadenersatzprozesses umgesetzt hat. „Ein isolierter Anspruch auf Offenlegung interner Dokumente, wie er auch diskutiert wurde, wäre eine niedrigere Hürde gewesen“, sagt der Partner der Kanzlei Noerr. Nun komme es darauf an, wie die anderen EU- Mitgliedsstaaten den Auskunftsanspruch umsetzen. Sollten einzelne Länder die Discovery isoliert ermöglichen, drohe ein „Forum Shopping“. Kläger könnten dann gegebenenfalls dort vor Gericht ziehen.
Das BMJV hat den Entwurf, der im Kern eine Eins-zu- Eins-Umsetzung der Richtlinie ist, mit Frist zum 10. Oktober zur Stellungnahme versandt. Das neue Produkthaftungsrecht muss bis zum 9. Dezember 2026 in nationales Recht umgesetzt werden.
Hanno Bender



