TextilWirtschaft 43 vom 23.10.2025 Seite 30
Bleiben Sie gesund!
Damit Arbeit nicht krank macht, braucht es mehr als den richtigen Bürostuhl, finden die Befragten
Etwa sechs Wochen ist es her, dass Madeleine Alizadeh auf dem Instagram-Kanal ihres Fair Fashion-Labels Dariadéh einen emotionalen Post abgesetzt hat. Anlass war der achte Geburtstag ihres Unternehmens. Sie schreibt darüber, dass ihre Arbeit anders bewertet werde als die männlicher Kollegen. Sie beschreibt, wie sie Erfolg definiert. Und es fällt der Satz: „Unsere Maßstäbe sind andere: sichere und gute Arbeitsplätze schaffen, faire Bezahlung, ein Arbeitsumfeld, in dem Menschen langfristig gesund und gerne arbeiten können.“
Das würden möglicherweise viele sagen. Doch Alizadeh macht noch mehr. Sie thematisiert öffentlich ihre mentale Gesundheit, spricht von ihrem Burnout, ihrer Depression, ihrer ADHS-Diagnose. „Das Thema Therapie ist bei uns im Büro total enttabuisiert“, sagt Sophie Meisinger, die das österreichische Unternehmen als Co-CEO gemeinsam mit Alizadeh führt.
Das dürfte bei vielen der mehr als 6500 Befragten der Studie „Working in Fashion“ (WiF) einen Nerv treffen. Schließlich stimmen 85% folgender Aussage zu: „Eine Unternehmenskultur, in der offen über psychische Belastungen gesprochen wird, trägt wesentlich zu einem gesunden Arbeitsumfeld bei.“ Im Rahmen der Erhebung fragt die TW jedes Jahr ein anderes Sonderthema ab. Dieses Jahr ist es Mentale Gesundheit.
Die gute Nachricht zuerst: Die große Mehrheit (93%) gibt an, dass sie sich ihren derzeitigen Aufgaben gewachsen fühlt. Die schlechte: Drei Viertel meinen, Druck und Arbeitsbelastung sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Mehr als die Hälfte (55%) wünscht sich zukünftig mehr Unterstützung in puncto mentale Gesundheit. Und nur 46% finden, dass der Arbeitgeber ausreichend Angebote zur Förderung der Mentalen Gesundheit anbietet.
Lebensrealitäten berücksichtigen
Was tut Dariadéh? „Ein riesengroßes Anliegen ist es uns, sehr flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen“, erklärt Meisinger. „Es gibt Mitarbeiterinnen, die starten um 7 Uhr und sind um 14 Uhr fertig, ich fange auch gerne mal erst um 12 Uhr ab und arbeite bis 20 Uhr. Es hat einfach jeder eine andere Lebensrealität, manche haben Kinder, andere pflegen Angehörige oder jemand muss Therapietermine wahrnehmen, die nicht immer in Randzeiten gegeben sind. Ich denke, wir sind sehr gut darin, Lebensrealitäten zu erkennen und zu berücksichtigen.“
Offene Gespräche führen, die Stimmung im Team zu spüren und auch dann noch Termine für Meetings finden, wenn die Arbeitszeiten voneinander abweichen, lässt sich in so einem kleinen zehnköpfigen Team wie dem von Dariadéh natürlich leichter realisieren als in einem größeren Unternehmen oder gar einem riesigen Konzern. Bei Vaude gibt es für die mehr als 500 Mitarbeitenden unter anderem diverse Sportangebote und Workshops zur Stressbewältigung – wie bei vielen der Fashion-Firmen, die im Rahmen der WiF-Studie bewertet wurden.
„Schon vor den mentalen Belastungen durch die Corona- Pandemie haben wir uns sowohl in den Konzerngesellschaften als auch übergreifend mit diesem Thema beschäftigt“, sagt Sebastian Strache, Vice President Group HR bei der Otto Group. Dass Corona das Thema in den Fokus gerückt hat, zeigt auch der anonyme Kommentar eines Studienteilnehmers: „Die Stimmung am POS ist seit Corona gar nicht mehr gut, das wirkt sich auf die mentale Gesundheit aus.“
Die Otto Group-Tochter Witt hat 2024 das Programm Mental Health First Aid gestartet: Bislang haben sich 43 Mitarbeitende zu Ersthelfern für mentale Gesundheit ausbilden lassen und unterstützen bei Bedarf.
Vaude arbeitet in diesem Zusammenhang mit der gemeinnützigen Initiative „Redezeit für dich“ zusammen. Über 350 ehrenamtlich ausgebildete Zuhörerinnen und Zuhörer bieten Gespräche zu diversen Themen an. Selbstverständlich anonym.
Ein anonymer Kommentar eines Studienteilnehmers unterstreicht, warum es sich für Unternehmen lohnen kann, das Thema ernst zu nehmen: „Die aktuelle Lage weltweit und textiltechnisch ist anspruchsvoll. Gezielte Unterstützung kann Kündigungen vermeiden und Potenziale besser ausschöpfen. Auch hinsichtlich des Fachkräftemangels würde dies sehr helfen und sollte wie der richtige Bürostuhl zum Alltag dazu gehören.“
Charlotte Schnitzspahn



