Betriebs-Berater
Barrierefreiheitsanforderungen in der Praxis: Häufig gestellte Fragen zu EAA, BFSG und MStV
Quelle: Betriebs-Berater 2025 Heft 37 vom 08.09.2025, Seite 2051

Dr. David
Klein, RA
, und
Sarah
Köppen
, RAin

Barrierefreiheitsanforderungen in der Praxis: Häufig gestellte Fragen zu EAA, BFSG und MStV

Die Umsetzung der Vorschriften der Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen erfordert von Verpflichteten zum Teil ganz erhebliche Investitionen. Mangels transparenter Vorgaben und konkreter technische Anforderungen müssen Unternehmen genau prüfen, wie sie ihre Compliance mit den Vorschriften zur Barrierefreiheit sicherstellen und Menschen mit Behinderung barrierefreien Zugang zu ihren Produkten und Dienstleistungen im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben ermöglichen können. Gerade Abgrenzungsfragen bereiten dabei erhebliche Schwierigkeiten.

I. Barrierefreiheit in einer digitalen Umwelt

1. Barrierefreiheitsanforderungen: Hintergrund und Rahmenbedingungen

Bereits im Jahr 2006 trat die EU der UN-Behindertenrechtskonvention bei und übernahm damit die völkerrechtliche Verpflichtung, den barrierefreien Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien sowie zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen sicherzustellen sowie Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass sie ohne spezielle Anpassungen für alle nutzbar sind.1 Daran anknüpfend verfolgt die EU seit 2010 eine Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, welche deren Teilhabe an der Gesellschaft und an der europäischen Wirtschaft sicherstellen soll.2

Nachdem mit der EU-Richtlinie 2016/21023 zunächst der öffentliche Sektor verpflichtet wurde, digitale Angebote bis spätestens 23.6.2021 barrierefrei zu gestalten, folgen nun mit der EU-Richtlinie 2019/8824 – dem “European Accessibility Act” (EAA) – erstmals verbindliche Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen des privaten Sektors. Seit Inkrafttreten am 28.6.2025 legt der EAA einen verbindlichen Mindeststandard der Barrierefreiheit fest.

Der EAA wird durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und durch den Zweiten Staatsvertrag zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge in deutsches Recht umgesetzt. Seit dem 28.6.2025 gelten die darin festgelegten Barrierefreiheitsanforderungen in Deutschland.

2. Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

Das BFSG gilt im Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern (B2C) und verpflichtet private Wirtschaftsakteure, in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallende Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten.

Die vom BFSG erfassten Produkten werden in § 1 Abs. 2 BFSG aufgezählt. Dazu gehören unter anderem Hardwaresysteme für Universalrechner sowie bestimmte Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten, Fahrausweisautomaten oder interaktive Verbraucherendgeräte.

Neben Produkten sind die in § 1 Abs. 3 BFSG aufgezählten Dienstleistungen erfasst, darunter Telekommunikationsdienste, bestimmte digitale Angebote von Personenbeförderungsdienstleistern, Bankdienstleistungen für Verbraucher sowie Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr. Letztere umfassen insbesondere den E-Commerce und den online vermittelten Abschluss von Verbraucherverträgen.5

Produkte und Dienstleistungen gelten gemäß § 3 Abs. 1 BFSG als barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Detaillierte Anforderungen an die Barrierefreiheit werden gem. § 3 Abs. 1 BFSG durch die Verordnung zum BFSG (BFSGV) konkretisiert, die zeitgleich mit dem BFSG in Kraft getreten ist.

Vom Anwendungsbereich des BFSG ausgenommen sind gemäß § 3 Abs. 3 BFSG ausschließlich Wirtschaftsakteure, die Dienstleistungen anbieten und ein Kleinstunternehmen gemäß § 2 Nr. 17 BFSG betreiben. Darunter fallen Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten, deren Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme jeweils höchstens zwei Millionen Euro beträgt. Kleinstunternehmen, die mit Produkten befasst sind, sind hingegen vom Anwendungsbereich erfasst. Für sie gelten weniger strenge Dokumentations- und Informationspflichten gemäß § 16 Abs. 4 und § 17 Abs. 2 und 5 BFSG.

3. Medienstaatsvertrag (MStV)

Durch den Zweiten Staatsvertrag zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge (MStV) ergeben sich für Intermediäre, Benutzeroberflächen, Medienplattformen und Rundfunkprogramme neue Vorgaben an die Barrierefreiheit.6 Der MStV legt in § 99a spezifische Anforderungen an die Barrierefreiheit von solchen Diensten fest, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen. Audiovisuelle Mediendienste umfassen gem. § 2 Abs. 2 Nr. 31 MStV neben Fernsehprogrammen und fernsehähnlichen Telemedien wie Videos und Streaming-Inhalten auch die Funktionen, mit denen Nutzer diese Inhalte überhaupt nutzen können.

Unter diese Definition fallende Dienste müssen barrierefrei gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 30 MStV sein, mithin für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, bei Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel, nach dem jeweiligen Stand der Technik ohne besondere Erschwernis und möglichst ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Hinsichtlich der konkreten Anforderungen verweist § 99a MStV auf die in Anhang I Abschnitt III sowie Abschnitt IV Buchst. b EAA geregelten Anforderungen.

Vom Anwendungsbereich des MStV ausgenommen sind nach § 99a MStV Kleinstunternehmen, für die eine dem BFSG entsprechende Definition gilt.7

4. Ausnahmen vom Anwendungsbereich: Wann mĂĽssen Barrierefreiheitsanforderungen nicht umgesetzt werden?

Ausnahmsweise sind Barrierefreiheitsanforderungen fĂĽr betroffene Wirtschaftsakteure nicht verpflichtend, hierfĂĽr sind im BFSG und im MStV entsprechende Ausnahmeregelungen vorgesehen.

a) Grundlegende Veränderungen

Sowohl nach § 16 Abs. 1 BFSG als auch nach § 99a Abs. 1 MStV gelten die jeweiligen Barrierefreiheitsanforderungen nur insoweit, als deren Einhaltung keine wesentliche Änderung des Produkts, der Dienstleistung oder des Dienstes, der den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglicht, erfordert, die zu einer grundlegenden Veränderung deren Wesensmerkmale führt. Diese Ausnahme wird jedoch sehr eng interpretiert.8 Eine grundlegende Veränderung liegt nach der Gesetzesbegründung erst dann vor, wenn die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen den Wesenskern der Dienstleistung oder des Produkts verändert, so dass z. B. ein Produkt den ursprünglich intendierten Zweck nicht mehr erreichen kann.9 Letzteres ist der Fall, wenn die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen so viele Ressourcen benötigte, dass die eigentliche Aufgabe des Produkts nicht mehr erfüllt werden kann, da etwa die technische Kapazität nicht mehr ausreicht.

b) Unverhältnismäßige Belastung

Auch für den Fall, dass die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Wirtschaftsakteurs führen würde, sind Ausnahmeregelungen von der Verpflichtung zur Barrierefreiheit in § 17 BFSG bzw. § 99a Abs. 1 MStV vorgesehen. Eine unverhältnismäßige Belastung soll dann anzunehmen sein, wenn Maßnahmen zur Umsetzung der Barrierefreiheit eine zusätzliche übermäßige organisatorische oder finanzielle Belastung für den Wirtschaftsakteur bedeuten würden, wobei dem voraussichtlich entstehenden Nutzen für Menschen mit Behinderungen Rechnung zu tragen ist.10 Die Ausnahmeregelung greift nur in absoluten Ausnahmefällen. In der Regel wird davon auszugehen sein, dass Wirtschaftsakteuren die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen zuzumuten sind.

Für eine entsprechende Beurteilung sind vorgeschriebene Kriterien in Anlage 4 des BFSG bzw. Anhang VI des EAA, auf den der MStV an dieser Stelle verweist, heranzuziehen. Bei der Prüfung ist zu beachten, dass eine unverhältnismäßige Belastung gesondert für die Umsetzung aller Barrierefreiheitsanforderungen durchzuführen ist. Der EAA stellt in seinem 66. Erwägungsgrund klar, dass solche Vorgaben, die jeweils keine unverhältnismäßige Belastung darstellen, uneingeschränkt umgesetzt werden müssen. Zudem sollen sich Unternehmen hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit nicht auf mangelnde Priorität, Zeit oder Kenntnis berufen dürfen.11 Im MStV ist zusätzlich für betroffene Anbieter geregelt, dass sich diese bei Erhalt nichteigener öffentlicher oder privater Mittel zur Verbesserung der Barrierefreiheit grundsätzlich nicht auf eine unverhältnismäßige Belastung berufen können, § 99a Abs. 1 S. 3 MStV.

c) Schriftliche Beurteilung und Dokumentation

Berufen sich Wirtschaftsakteure auf eine der genannten Ausnahmen, müssen sie gemäß § 16 Abs. 2 BFSG, § 17 Abs. 2 BFSG und § 99a MStV eine schriftliche Beurteilung vornehmen, welche eine grundlegende Veränderung bzw. unverhältnismäßige Belastung belegt, und die Beurteilung dokumentieren.12 Unter dem BFSG bestehen außerdem Unterrichtungspflichten sowohl gegenüber der deutschen Marktüberwachungsbehörde (siehe Ziff. II. 2. d)), als auch gegenüber allen anderen Behörden in solchen EU-Mitgliedstaaten, in denen die Dienstleistung angeboten oder erbracht wird, §§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 5 S. 1 BSFG. Weiterhin muss die Beurteilung für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren aufbewahrt, regelmäßig erneuert und auf begründetes Verlangen jederzeit den zuständigen Behörden vorgelegt werden.

d) Ăśbergangsfristen

In bestimmten Fällen greift eine Übergangsfrist für die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen: Diensteanbieter unter dem BFSG dürfen ihre Dienste unverändert bis zum 27.6.2030 weiterhin mit Produkten erbringen, die sie bereits vor diesem Datum rechtmäßig für ähnliche Dienste verwendet haben. Bestehende Dienstleistungsverträge, die vor dem 28.6.2025 abgeschlossen wurden, können ebenfalls unverändert bis spätestens zum 27.6.2030 in Kraft bleiben.

§ 121a Abs. 2 MStV sieht vor, dass Anbieter von Diensten, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen, bis zum 27.6.2030 diese Dienste weiterhin unter Einsatz von Produkten erbringen dürfen, die bereits vor dem 28.6.2025 zur Erbringung dieser oder ähnlicher Dienste rechtmäßig eingesetzt wurden. Vor dem 28.6.2025 geschlossene Verträge über solche Dienste dürfen bis zu ihrem Ablauf, allerdings nicht länger als fünf Jahre ab diesem Datum, unverändert fortbestehen.

II. Deep Dive: Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich

1. Umsetzungsspielraum und Geltung des Herkunftslandprinzips

Während der EAA als Ziel die Beseitigung von Handelshemmnissen im Binnenmarkt durch harmonisierte Barrierefreiheitsanforderungen verfolgt, lässt er als Richtlinie den EU-Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum auf nationaler Ebene.13 Für grenzüberschreitend tätige Unternehmen in Europa stellt sich daher die Frage, welche nationalen Vorschriften für sie maßgeblich sind.

An dieser Stelle wird das Herkunftslandprinzip relevant: Es gilt unionsrechtlich für Teilbereiche wirtschaftlicher Tätigkeiten und ist unter anderem in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr 2001/31/EG (“E-Commerce-RL”) oder in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 2010/13/EU (geändert durch die RL 2018/1808/EU) verankert. Der Kern des Herkunftslandprinzips besteht darin, dass ein grenzüberschreitend tätiger Anbieter nicht die unterschiedlichen Regelungen aller Mitgliedstaaten beachten muss, in denen er seine Dienstleistung anbietet oder Produkte auf den Markt bringt, sondern es ausreichend ist, wenn er die Vorschriften desjenigen Staates einhält, in dem er seine Niederlassung hat.14

Im Rahmen des BFSG dürfte für deutsche Anbieter von Leistungen im elektronischen Geschäftsverkehr insbesondere das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) relevant sein, das in § 3 DDG unter bestimmten Voraussetzungen die Geltung des Herkunftslandprinzips für digitale Dienste und deren Anbieter festlegt und die entsprechenden Regelungen aus dem Telemediengesetz (TMG) fortschreibt.

Allerdings durchbrechen das BFSG und der MStV das Herkunftslandprinzip möglicherweise durch bestimmte Vorgaben.15 So sind Dienstleistungserbringer, deren Angebote nicht den Anforderungen des BFSG entsprechen, verpflichtet, nicht nur die deutsche Marktüberwachungsbehörde bzw. für den Anbieter zuständige Landesmedienanstalt über die festgestellte Nichtkonformität zu informieren, sondern gemäß § 14 Abs. 4 S. 2 BFSG und § 99b Abs. 2 MStV auch sämtliche Behörden derjenigen EU-Mitgliedstaaten, in denen der Dienst angeboten oder erbracht wird. Gleiches gilt für Importeure, Händler und Hersteller von Produkten. Die Regelung kann allerdings unionsrechtskonform so ausgelegt werden, dass die Informationspflicht nur die Nichtkonformität von Produkt oder Dienstleistung mit den Regelungen des Herkunftslands zum Gegenstand hat.16

In der Praxis erscheint es für deutsche Unternehmen sinnvoll, sich an den Vorgaben des BFSG zu orientieren, da der deutsche Gesetzgeber von den vorgesehenen Umsetzungsspielräumen keinen Gebrauch gemacht hat.17

2. Muss die gesamte Webseite barrierefrei sein?

Ein im Zusammenhang mit dem BFSG häufig diskutiertes Problem betrifft die Frage, ob E-Commerce-Dienstleister, die unter den Anwendungsbereich des BFSG fallen, ihr gesamtes Onlineangebot barrierefrei gestalten müssen, oder ob die Verpflichtung lediglich Bereiche der Webseite umfasst, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der angebotenen Dienstleistung stehen. Die Behörden vertreten diesbezüglich eine sehr weite Auffassung des Anwendungsbereichs, der sich jedoch nicht mit Wortlaut und Begründung des Gesetzes deckt. Im Ergebnis dürfte daher nur der Bereich einer Webseite barrierefrei zu gestalten sein, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der angebotenen Dienstleistung steht, also z. B. Produktdetailseiten in einem Webshop sowie der gesamte Check-Out-Vorgang, einschließlich aller Pflichtinformationen und Elemente, die den Zugang zu einer Webseite ermöglichen, z. B. vorgeschalteten Altersverifikationsmechanismen.

a) Wortlaut des Gesetzes

Das BFSG bestimmt hinsichtlich des in § 1 Abs. 3 Nr. 5 BFSG geregelten Anwendungsbereichs, dass das Gesetz für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr gilt. Hiervon umfasst sind gemäß § 2 Nr. 26 BFSG Dienstleistungen über Telemedien, die über Webseiten oder Apps angeboten werden und den Abschluss von Verbraucherverträgen auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers ermöglichen. Webseiten werden somit nicht per se erfasst, sondern nur, sofern sie entsprechende Vertragsabschlüsse ermöglichen.

Dass die Begrenzung auf Webseiten, die entsprechende Dienstleistungen anbieten, nicht etwa ein gesetzgeberisches Versehen ist, zeigt sich anhand der Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 2a BFSG, wonach gesamte Webseiten barrierefrei zu gestalten sind, wenn diese als Element erfasster Personenbeförderungsdienste gegenüber Verbrauchern angeboten werden. Hätte der Gesetzgeber dies auch für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr regeln wollen, hätte er einen identischen Wortlaut gewählt.

b) GesetzesbegrĂĽndung

Die Gesetzesbegründung des BFSG lässt auf einen engeren Anwendungsbereich schließen. Zu § 1 Abs. 3 Nr. 5 BFSG wird erläutert: “. . . . Dabei sind jedoch nur die Webseiten oder die mobilen Anwendungen erfasst, durch die den Verbrauchern die Angebote vorgestellt werden, sowie Buchungen und Zahlungen getätigt werden können”.18 Auch wenn diese Formulierung im Wesentlichen dazu dient, zwischen der elektronischen Dienstleistung und der erworbenen Dienstleistung (die eigenständig zu betrachten ist) zu unterscheiden, wird hierbei nicht auf eine Webseite, sondern nur konkrete Teile der Website, die im direkten Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss stehen, verwiesen.19

c) Auffassungen in der juristischen Literatur

In der juristischen Literatur gibt es unterschiedliche Ansichten ĂĽber die Anwendbarkeit des Gesetzes: Einige argumentieren, dass das BFSG nur fĂĽr Websites oder Teile von Websites gilt, die in direktem Zusammenhang mit dem erfassten Dienst stehen.20 Andere, die sich insbesondere auf den Wortlaut der BFSGV stĂĽtzen, vertreten den Standpunkt, dass die Anforderungen fĂĽr Websites als Ganzes gelten.21

Eine gängige Auslegung ist, dass das Gesetz die Teile einer Website oder App abdeckt, über die Verbraucher auf Produkte und Dienstleistungen zugreifen. Nach dieser Auffassung erstrecken sich die Anforderungen an die Barrierefreiheit auf Elemente wie Cookie-Banner, die den Zugang zur Website blockieren, Navigationsleisten, die den Zugang zu einem Online-Shop ermöglichen, und Geschäftsbedingungen, die für den Kauf von Produkten oder Dienstleistungen relevant sind.22

d) Position der Behörden

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist die federführende Behörde für das BFSG und bezieht die Position, dass beim Verkauf von Produkten an Verbraucher oder bei der Bereitstellung von Terminbuchungsmöglichkeiten über eine Webseite die gesamte Webseite einschließlich des Bestellvorgangs barrierefrei sein muss.23

Diese Auffassung leitet die Behörde unter anderem aus den allgemeinen Anforderungen an Dienstleistungen nach § 12 Nr. 3 BFSGV und den Überwachungspflichten für Dienstleistungen, insbesondere nach Anlage 1 Nr. 2 BFSG, ab.

3. Gilt das BFSG im B2B-Bereich?

Das BFSG verfolgt gemäß § 1 Abs. 1 BFSG den Zweck, im Interesse von Verbrauchern und Nutzern die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen zu gewährleisten. Für die in § 1 Abs. 2 BFSG aufgeführten Produkte gilt dabei regelmäßig, dass sie “für Verbraucher” in den Verkehr gebracht werden müssen bzw. kraft ihrer Zweckbestimmung als Verbraucherendgeräte einzuordnen sind. Gleiches gilt für die in § 1 Abs. 3 BFSG genannten Dienstleistungen: Auch sie unterfallen nur dann dem Anwendungsbereich des BFSG, wenn sie für Verbraucher erbracht werden.24 Produkte oder Dienstleistungen, bei denen eine klare Zuordnung nicht möglich ist, müssen im Zweifel die Anforderungen aus dem BFSG einhalten. Nach der Gesetzesbegründung könnte zwar der Eindruck entstehen, es reiche aus, wenn der Hersteller selbst sein Produkt nur für geschäftliche Zwecke einordnet, um nicht unter die Regelungen des BFSG zu fallen.25 Das dürfte aber nicht zutreffen: Ermöglicht der Hersteller Verbrauchern z. B. den Erwerb von “Geschäfts-Notebooks” über seinen Webshop parallel zu sogenannten Consumer-Produkten, müssen alle diese Produkte den Vorgaben des BFSG genügen.

Der Verbraucherbegriff wird im BFSG § 2 Nr. 16 BFSG definiert als “jede natürliche Person, die eine Ware oder Dienstleistung zu Zwecken erwirbt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können”.

Welche Anforderungen an den B2B-Onlineauftritt zu stellen sind, ist für private Wirtschaftsakteure hinsichtlich der Barrierefreiheitsanforderungen noch unklar. Einen Anhaltspunkt bietet jedoch die Rechtsprechung zu Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 EGBGB und dem wirksamen Ausschluss von Verbrauchern im Onlinehandel. Danach ist eine Beschränkung des Internetangebots auf Gewerbetreibende grundsätzlich möglich, wenn der Wille des Unternehmers, ausschließlich mit Gewerbetreibenden zu kontrahieren, klar und transparent zum Ausdruck gebracht wird. Abzustellen ist dabei auf die objektivierte Sicht des Erklärungsempfängers, für den der Wille des Unternehmens, ausschließlich mit Gewerbetreibenden zu kontrahieren, erkennbar zum Ausdruck kommen muss. Dafür bedarf es neben deutlichen Hinweisen an geeigneter Stelle auch, dass der Ausschluss von Verträgen mit Verbrauchern in erheblichem Maße sichergestellt ist.26 Dies kann beispielsweise durch die verpflichtende Abfrage von Unternehmensdaten (z. B. Handelsregisternummer, Firma, Umsatzsteuer-ID, Unternehmenssitz) sowie eine Bestätigung der Unternehmereigenschaft im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bestellbutton erreicht werden. Tätigen Verbraucher trotz dieser offensichtlichen Hinweise und Sorgfaltsmaßnahmen eine Bestellung, gelten sie nicht als schutzwürdig.27

Setzt ein Unternehmen für die Zugangsbeschränkung zu ihrem Webshop eine Weiche für Verbraucher ein, die diese auf ein B2C-Angebot umleitet, muss dieser Mechanismus barrierefrei ausgestaltet sein.

4. Abgrenzung zu vorgelagerten Handlungen

Im Rahmen von Online-Angeboten stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt Barrierefreiheitsanforderungen greifen, insbesondere ob vorvertragliche Maßnahmen, wie die Bewerbung von Leistungen per Newsletter, die Bereitstellung von Kontaktformularen oder die Möglichkeit zur Terminbuchung barrierefrei zu gestalten sind.

Das BFSG knüpft grundsätzlich an den Begriff der “Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr” an, wovon gemäß § 2 Nr. 26 BFSG Dienstleistungen der Telemedien umfasst sind, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden sowie elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden.

Der Gesetzeswortlaut “im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags” legt die Auslegung nahe, dass bereits Leistungen im Vorfeld eines Vertragsschlusses erfasst sein können, sofern sie funktional auf diesen ausgerichtet sind. Dies erscheint ausgehend vom Zweck des Gesetzes sinnvoll.28 Hingegen nicht anwendbar soll das BFSG auf reine Präsentationswebseiten sein, die ausschließlich informativ sind oder Produkte oder Dienstleistungen lediglich bewerben, weil hierbei etwa das Merkmal der “individuellen Anfrage” eines Verbrauchers fehle.29

Bietet ein Unternehmen eine Terminbuchungsmöglichkeit an, die mit einer entgeltlichen Leistung verknüpft ist, dürfte das BFSG bereits auf die Terminbuchung anwendbar sein. Hierbei handelt es sich nach Ansicht des BMAS bereits um eine Leistung, die im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werde.30 Sind mit einer Terminbuchungsmöglichkeit hingegen ausschließlich unentgeltliche Leistungen buchbar, wäre das BFSG wohl nicht anwendbar. Zu beachten ist, dass das “Bezahlen mit Daten” für die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen als entgeltliche Leistung gelten kann.31

Bei Newslettern sollte im Einzelfall geprüft werden, ob diese noch als rein informativ eingeordnet werden können. Dies dürfte der Fall sein, wenn der Newsletter lediglich über Produkte oder Dienste informiert, diese aber nicht direkt über den Newsletter erworben werden können.32 Sind unmittelbare, entgeltliche Vertragsabschlüsse über den Newsletter möglich, dürfte die Grenze zur Anwendbarkeit überschritten sein. Hier empfiehlt sich eine Prüfung im Einzelfall.

Auch bei Kontaktformularen ist zu prüfen, ob diese funktional auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags gerichtet sind. Entscheidend dürfte sein, ob das Formular auf ein konkretes Leistungsangebot Bezug nimmt und dem Verbraucher die Abgabe eines verbindlichen Vertragsangebots ermöglicht. Bei Kontaktformularen, die auf keine konkrete Leistung bezogen sind und lediglich eine unverbindliche Kontaktaufnahme ermöglichen, dürfte es regelmäßig sowohl an der erforderlichen individuellen Anfrage im Hinblick auf den Abschluss eines Vertrags durch den Verbraucher als auch an einer Einigung über die wesentlichen Vertragsbestandteile fehlen.33 Das BFSG wäre somit nicht anwendbar.

III. Fragestellungen im Zusammenhang mit der Umsetzung des BFSG

1. Technische Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen

Bei der Umsetzung des BFSG gelten bestimmte technische Standards. Das BFSG stellt in § 4 und § 5 Konformitätsvermutung für solche Produkte und Dienstleistungen auf, die “harmonisierten Normen oder Teilen davon entsprechen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind” oder die “die den technischen Spezifikationen oder Teilen davon entsprechen.”

Hinsichtlich der relevanten Standards kann bereits auf die EN 301 549 mit dem Titel “Accessibility requirements for ICT products and services” verwiesen werden,34 welche für den öffentlichen Sektor gilt und angesichts des durch den EAA erweiterten Anwendungsbereichs derzeit überarbeitet wird.35

Aktuell verweist die europäische Norm hinsichtlich der konkreten Anforderungen an Webseiten unter anderem auf die Erfolgskriterien der Konformitätsstufen A und AA der Web Content Accessibility Guidelines 2.1 (WCAG 2.1). Die für den EAA aktualisierte Version der EN 301 549 v4.1.1, deren Veröffentlichung für Mitte 2026 vorgesehen ist, wird auf die WCAG 2.2 verweisen.36

Die WCAG definieren vier grundlegende Prinzipien für barrierefreie Webinhalte: Inhalte sollen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet sein. Wahrnehmbarkeit bedeutet, Informationen so bereitzustellen, dass sie von möglichst vielen Menschen aufgenommen werden können, etwa durch visuelle Alternativen zu auditiven Inhalten. Die Bedienbarkeit wird verbessert, indem Orientierungshilfen angeboten werden. Eine klare und einfache Sprache trägt zur Verständlichkeit bei und die technische Robustheit wird durch Kompatibilität mit unterschiedlichen Benutzeragenten und assistiven Technologien sichergestellt.

Bei der technischen Umsetzung lohnt es sich fĂĽr Unternehmen, bereits jetzt die Anforderungen der WCAG 2.2 im Blick zu haben, weil diese ab 2026 verbindlich sein werden.

2. Gestaltung der Barrierefreiheitserklärung

Das BFSG sieht in § 14 Abs. 2 BFSG vor, dass unter das BFSG fallende Dienstleistungserbringer eine Barrierefreiheitserklärung nach den Vorgaben von Anlage 3 Nr. 1 BFSG erstellen und diese für die Allgemeinheit in barrierefreier Form nach den Vorgaben der BFSGV zugänglich machen müssen. Die Erklärung soll entweder in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu einer Dienstleistung integriert oder “auf andere deutlich wahrnehmbare Weise” zur Verfügung gestellt werden.

Folgende Elemente müssen in einer Barrierefreiheitserklärung enthalten sein:

  • Eine Erläuterung, wie die Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen der BFSGV erfĂĽllt: Darstellung der Anforderungen und Abgleich mit der konkreten Ausgestaltung der Dienstleistung,
  • Verbraucherinformationen nach Art. 246 EGBGB,
  • eine Beschreibung der Dienstleistung in barrierefreiem Format,
  • Beschreibungen und Erläuterungen, die zum Verständnis der DurchfĂĽhrung der Dienstleistung erforderlich sind,
  • die Angabe der zuständigen MarktĂĽberwachungsbehörde.

Auch wenn das BFSG die Integration der Barrierefreiheitserklärung in die AGB empfiehlt, ist es aus rechtlicher Sicht vorzugswürdig, diese als separates Dokument bereitzustellen und gut sichtbar z. B. im Footer der Website zu verlinken. Andernfalls könnten Änderungen an den in der Erklärung enthaltenen technischen Angaben als AGB-Änderungen gewertet werden und entsprechende Informationspflichten auslösen. Zudem besteht das Risiko, dass die Erklärung – je nach Formulierung und Einbindung – der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegt.37

3. Was gilt fĂĽr eingebundene Medieninhalte?

Im elektronischen Geschäftsverkehr stellt sich bei der Einbindung von Videos auf Webseiten die Frage, ob diese ebenfalls barrierefrei bereitgestellt werden müssen.

Unter dem BFSG wäre dies der Fall, wenn ein Video als Bestandteil eines entgeltlichen Verbrauchervertrags oder in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen Abschluss bereitgestellt wird. Für Videos, die vor dem 28.6.2025 auf einer Website veröffentlicht wurden, greift die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 4 Nr. 1 BFSG für aufgezeichnete zeitbasierte Medien. Werden solche Videos jedoch nach Inkrafttreten des BFSG überarbeitet oder neu veröffentlicht, unterliegen sie den Barrierefreiheitsanforderungen.38

Bei Videoinhalten ist der MStV zu beachten, der in § 99a MStV Barrierefreiheitsanforderungen für Anbieter von Diensten vorsieht, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen. Der EAA führt insoweit beispielhaft Angebote wie Websites, Online-Anwendungen, auf Set-top-Boxen basierende Anwendungen, herunterladbare Anwendungen, auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen einschließlich mobiler Anwendungen und entsprechende Media-Player sowie auf einer Internetverbindung basierende Fernsehdienste gehören, auf.39

Von dieser Definition dürften insbesondere Streaming-Plattformen und andere Mediatheken betroffen sein.40 Nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Einbindung von einzelnen Fremdinhalten – etwa von YouTube Videos – ausreichend ist, um als “Anbieter fernsehähnlicher Telemedien” zu gelten. Um unter diese Definition zu fallen, muss durch den Anbieter eine Benutzeroberfläche betrieben werden, die den Zugang zu audiovisuellen Medien im Sinne des MStV eigenständig vermittelt, was bei der Einbindung lediglich einzelner Videos fraglich sein kann.

Für Unternehmen gilt: Werden Videoinhalte eingebunden, finden die Vorgaben zur Barrierefreiheit dann Anwendung, wenn diese Inhalte unmittelbar Teil einer entgeltlichen Leistung sind oder selbst gegen Entgelt bereitgestellt werden. Ob auf das entgeltliche Angebot der MStV oder das BFSG Anwendung findet, ist deshalb relevant, weil der MStV ein deutlich höheres Bußgeld von bis zu 500 000 Euro vorsieht.

4. Barrierefreiheit von Bedienungsanleitungen und anderen Zusatzinformationen

Bei Angeboten von Produkten oder Dienstleistungen, die dem BFSG unterfallen, ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang begleitende Dokumente – etwa separate Bedienungs- oder Aufbauanleitungen im PDF-Format – barrierefrei zugänglich gemacht werden müssen.

§ 12 Abs. 2 BFSGV trifft hierzu eine klare Regelung: Die Bereitstellung von Informationen über die Funktionsweise der Dienstleistung sowie für den Fall, dass für die Erbringung der Dienstleistung Produkte verwendet werden, die Bereitstellung von Informationen über die Verbindung der Dienstleistung zu diesen Produkten sowie über die Barrierefreiheitsmerkmale und die Interoperabilität dieser Produkte mit assistiven Technologien, muss barrierefrei erfolgen. Insbesondere müssen die Informationen über mehr als einen sensorischen Kanal bereitgestellt werden, leicht auffindbar und verständlich dargestellt sein.

Beziehen sich die separat bereitgestellten Informationen nicht allein oder ausschließlich auf die Funktionsweise der Dienstleistung oder auf die Verbindung und Interoperabilität von Produkten und Dienstleistungen, müssen sie ebenfalls dann barrierefrei gestaltet werden, wenn sie im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag stehen.41

Für auf Webseiten eingebundene Dokumente kann auf die Ausnahme nach § 1 Abs. 4 BFSG zurückgegriffen werden, nach der Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28.6.2025 veröffentlicht wurden, nicht barrierefrei gestaltet werden müssen. Hierbei gilt: Werden die Dokumente nachträglich modifiziert oder neu veröffentlicht, müssen diese nunmehr barrierefrei zur Verfügung gestellt werden.

5. Informationspflicht gegenüber Behörden- Selbstbelastungspflicht?

Wirtschaftsakteure sind sowohl nach dem BFSG als auch nach dem MStV zur Selbstanzeige verpflichtet, sie müssen die zuständigen Behörden aktiv über die Nichtkonformität ihrer Dienstleistungen mit den Barrierefreiheitsanforderungen informieren. Dies kommt einer Selbstbelastung gleich, da sowohl das Inverkehrbringen von nicht barrierefreien Produkten als auch das Angebot nicht barrierefreier Dienstleistungen eine bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeit gemäß § 37 BFSG darstellt. Kommen Wirtschaftsakteure dieser Anzeigepflicht nicht nach, begehen sie mit der Nichtanzeige der Nichtkonformität eine weitere Ordnungswidrigkeit.

Die Anzeigepflicht steht in Konflikt zur verfassungsrechtlich garantierten Selbstbelastungsfreiheit, die unter anderem aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 47Abs. 2GRCh abgeleitet werden kann.42

Nach Auffassung des EuGH ist die Selbstbelastungsfreiheit dann nicht verletzt, wenn für betroffene Akteure lediglich eine Pflicht zur Beantwortung rein tatsächlicher Fragen besteht. Die Schwelle zur unzulässigen Selbstbelastung sei erst dann überschritten, wenn der Meldepflichtige gegenüber der Behörde eine Zuwiderhandlung eingestehen müsste.43 Die Auffassung des EuGH greift jedoch zu kurz und verkennt den weiten Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit. Die Meldepflichten nach dem MStV und dem BFSG beschränken sich nicht auf die Beantwortung rein tatsächlicher Fragen, sondern verpflichten die betroffenen Akteure dazu, die Nichtkonformität ihrer Produkte oder Dienstleistungen und damit die Rechtswidrigkeit ihres eigenen Handelns gegenüber den Behörden offenzulegen.

Demnach kann die vorgesehene Selbstanzeigepflicht nur dann Bestand haben, wenn ihr in einem potenziellen Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Beweisverwertungsverbot gegenübersteht.44 Eine entsprechende Regelung wie etwa in § 43 Abs. 4 BDSG fehlt im BFSG. Daher ist bis zu einer gerichtlichen Klärung davon auszugehen, dass für eine Selbstanzeige gegenüber der Marktüberwachungsstelle kein Beweisverwertungsverbot besteht.

Bei Auskunftsverlangen der Behörde kann das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 25 S. 2 BFSG relevant werden. Dies gilt dann, wenn die Beauskunftung den Verpflichteten selbst oder seine Angehörige der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde.

6. Sanktionen

Die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen erfolgt unter dem BFSG durch die Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen (MLBF) sowie unter dem MStV durch die zuständigen Landesmedienanstalten.

Neben den in den §§ 20 ff.BFSG geregelten Marktüberwachungsmaßnahmen für Produkte enthält das BFSG auch Regelungen zur Überwachung von Dienstleistungen. Nach § 28 BFSG wird die Marktüberwachungsbehörde bei begründetem Anlass tätig, kann jedoch auch Stichprobenkontrollen durchführen. Hierfür sieht Anlage 1 zum BFSG die Prüfung anhand der Standardreihenfolge eines üblichen Nutzers für die Erbringung der Dienstleistung vor.

Gelangt die Marktüberwachungsbehörde zu dem Ergebnis, dass das Produkt oder die Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllt, fordert sie den betreffenden Wirtschaftsakteur auf, die Konformität mit dem BFSG herzustellen und bestimmt hierfür eine Frist. Der Wirtschaftsakteurs wird gemäß § 28 VwVfG angehört.

Werden keine geeigneten Korrekturmaßnahmen ergriffen, kann die Behörde anordnen, die Erbringung der Dienstleistung einzustellen bzw. die Bereitstellung des Produktes auf dem deutschen Markt zu untersagen, einzustellen oder die Produktrücknahme bzw. einen Produktrückruf zu erwirken.

Neben diesen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen sieht das BFSG, ebenso wie der MStV, die Möglichkeit der Verhängung von Bußgeldern vor. Ein Verstoß gegen die Barrierefreiheitsanforderungen stellt gem. § 37 BFSG eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 100 000 Euro geahndet werden kann. Daneben kann die Behörde bei formaler Nichtkonformität (z. B. fehlende Barrierefreiheitserklärung) und materieller Nichtkonformität (Nichterfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen) die Erbringung der Dienstleistung bis zur Herstellung der Konformität – nach entsprechender Fristsetzung und Anhörung – untersagen.

Verstöße gegen die Barrierefreiheitsvorgaben des MStV stellen gem. § 115 Abs. 1 Nr. 47–47c, Abs. 2 MStV eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 500 000 Euro geahndet werden kann. Darüber hinaus kann die zuständige Landesmedienanstalt erforderliche Maßnahmen ergreifen, einschließlich des Verbots oder der Sperrung des Dienstes gemäß § 109 Abs. 1 MStV.

Neben Maßnahmen der Behörden können potenziell auch Klagen von Wettbewerbern drohen. Sollten die Barrierefreiheitspflichten aus BFSG und MStV auch dazu bestimmt sein, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu schützen, sind Ansprüche nach dem Wettbewerbsrecht denkbar.45 Dies ist vorliegend nicht unwahrscheinlich, da die Barrierefreiheitsverpflichtungen Verbrauchern zugutekommen sollen und Verpflichtungen für Wirtschaftsakteure begründen.46

IV. Fazit

Die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen nach dem EAA, BFSG und MStV stellt Unternehmen vor erhebliche rechtliche und technische Herausforderungen. Viele Regelungen lassen Raum fĂĽr Auslegung und werden sich erst im Laufe der Anwendungspraxis konkretisieren.

  1. Barrierefreiheitsanforderungen gelten ausschließlich im Verhältnis zu Verbrauchern. Unternehmen, die nur im B2B-Bereich tätig sind, müssen dies klar kennzeichnen und tatsächliche und wirksame Maßnahmen zur Trennung gegenüber Verbrauchern treffen. Bieten Unternehmen im elektronischen Geschäftsverkehr separate Webseiten für Verbraucher an, auf die diese umgeleitet werden, muss der Mechanismus zur Beschränkung und Umlenkung barrierefrei sein.
  2. Die Bereiche einer Website, die für den Vertragsabschluss erforderlich sind, oder mit diesem unmittelbar zusammenhängen, müssen barrierefrei gestaltet sein. Die Website als Gesamtes ist nur bei Angeboten von Personenbeförderungsdienstleistern erfasst.
  3. Unternehmen sollten sich bei der Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen für Webseiten an der EN 301 549 orientieren. Dabei sollten bereits die Vorgaben der WCAG 2.2 berücksichtigt werden.
  4. Die im BFSG und MStV vorgesehen Ausnahmen greifen aufgrund ihres engen Anwendungsbereichs nur in Ausnahmefällen und sind mit Dokumentations-, Aufbewahrungs- und Anzeigepflichten verbunden.
  5. Die Pflicht zur behördlichen Selbstanzeige bei Nichtkonformität tangiert die Selbstbelastungsfreiheit. Das Unterlassen der Selbstanzeige stellt eine weitere Ordnungswidrigkeit dar. Ob die Pflicht zur Selbstanzeige bei Nichtkonformität ein Beweisverwertungsverbot auslöst, ist bislang ungeklärt.
  6. Eine verständlich formulierte und leicht auffindbare Barrierefreiheitserklärung ist verpflichtend. Ihre Ausgestaltung sollte außerhalb der AGB erfolgen, um rechtliche Risiken zu minimieren.

Abbildung 3

David Klein, RA, ist als Rechtsanwalt in Hamburg tätig. Er berät Unternehmen zu Data & AI, insbesondere bei der Umsetzung ihrer Plattformstrategien und digitalen Geschäftsmodellen in regulierten Industrien.

Abbildung 4

Sarah Köppen, RAin, ist als Rechtsanwältin in Hamburg tätig. Ihr Beratungsschwerpunkt liegt im IT- und Datenschutzrecht sowie im E-Commerce, insbesondere im Zusammenhang mit Online-Plattformen und digitalen Geschäftsmodellen.


1

Beschluss des Rates vom 26.11.2009 über den Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Europäische Gemeinschaft (2010/48/EG).

2

Europäische Kommission, European Disability Strategy 2010-2020: A Renewed Commitment to a Barrier-Free Europe, unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0636 (Abruf: 26.8.2025); Europäische Kommission: Directorate-General for Employment, Social Affairs and Inclusion, Union of equality – Strategy for the rights of persons with disabilities 2021-2030, Publications Office, 2021, unter https://data.europa.eu/doi/10.2767/31633 (Abruf: 26.8.2025).

3

RL (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen.

4

RL (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.4.2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen.

5

BMAS, Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes, unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Teilhabe/leitlinien-barrierefreiheit.pdf?_
_
blob=publicationFile&v=3 (Abruf: 26.8.2025), S. 2; Schweers, BB 2025, 454, 455; Ruttloff/Wagner/Misztl, ESG 2023, 325, 326.

6

Wagner, MMR 2024, 755; Lommatzsch/Albrecht, GWR 2022, 355, 356.

7

Ukrow, in: Cole/Oster/Wagner, Medienstaatsvertrag, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 102. Lieferung, Stand: 12/2024, § 99a MedienStVtr BW, Rn. 79.

8

Schweers, BB 2025, 454, 455.

9

BT-Drs. 19/28653, 81; vgl. Kapoor/Klindt, NJW 2024, 3545, 3549.

10

S. dazu auch ausdrücklich Erwägungsgrund 66 des EEA.

11

Vgl. BT-Drs. 19/28653, 82.

12

Paschke, in: Heckmann/Paschke, jurisPK-Internetrecht, 8. Aufl. 2024, Stand: 17.9.2024, Kap. 4.3, Rn. 253.

13

Herberger, CR 2025, 170.

14

Köhler, in: Köhler/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 43. Aufl. 2025, Einl. UWG, Rn. 5.8.; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 8. Aufl. 2023, Rn. 65.

15

Ukrow, in: Cole/Oster/Wagner, Medienstaatsvertrag, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 102. Lieferung, Stand: 12/2024, § 99b MedienStVtr BW, Rn. 28.

16

Kapoor, in: Klindt, Produktsicherheitsgesetz, 3. Aufl. 2021, Rn. 72 ff.; Heydn, in: Schuster/Grützmacher, IT-Recht, 2020, § 6 ProdSG 2021, Rn. 28.

17

Herberger, CR 2025, 170; Ruttloff/Wagner/Misztl, ESG 2023, 325.

18

BT-Drs. 19/28653, 65.

19

BT-Drs. 19/28653, 65.

20

Schweers, BB 2025, 454, 455; Herberger, CR 2025, 170, 173.

21

Differenzierend hierzu Kapoor/Klindt, NJW 2024, 3545, 3547 f.

22

Schweers, BB 2025, 454, 456.

23

BMAS, Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes, unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Teilhabe/leitlinien-barrierefreiheit.pdf?_
_
blob=publicationFile&v=3 (Abruf: 26.8.2025), S. 2.

24

Schweers, BB 2025, 454, 456.

25

Vgl. BT-Drs. 19/28653, 63.

26

OLG Hamm, 16.11.2016 – I-12 U 52/16, juris, Rn. 36 f.; OLG Hamm, 20.9.2011 – I-4 U 73/11, juris, Rn. 31 ff.; Nickl/Heuser, GRUR-Prax 2024, 803, 805.

27

BGH, 11.5.2017 – I ZR 60/16, BB 2017, 2322, juris, Rn. 25 ff.

28

Schweers, BB 2025, 454, 455; Kapoor/Klindt, NJW 2024, 3545, 3547.

29

GĂĽster, CR 2024, 814, 815; Herberger, CR 2025, 170, 173.

30

BMAS, Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes, unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Teilhabe/leitlinien-barrierefreiheit.pdf?_
_
blob=publicationFile&v=3 (Abruf: 26.8.2025), S. 3; Hauschild, DSB 2024, 177.

31

RL (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen.

32

Schweers, BB 2025, 454, 455.

33

Kucza, DStR 2024, 1836, 1839.

34

Wagner, MMR 2024, 755, 759; Schweers, BB 2025, 454, 457.

35

ETSI, EN 301 549 V3 the harmonized European Standard for ICT Accessibility, unter https://www.etsi.org/human-factors-accessibility/en-301-549-v3-the-harmonized-european-standard-for-ict-accessibility (Abruf: 26.8.2025).

36

BDI/Ebner Stolz (Hrsg.), Steuer- und Wirtschaftsrecht 2025, 2025, I. Allg. Wirtschaftsrecht, Rn. 22; Hauschild, DSB 2024, 177; Wagner, MMR 2024, 755, 759.

37

Brumme/Rätze, WRP 2025, 835, 839; Güster, CR 2024, 814, 819.

38

Brumme/Rätze, WRP 2025, 835, 837.

39

S. dazu auch ausdrücklich Erwägungsgrund 31 des EEA.

40

Ukrow, in: Cole/Oster/Wagner, Medienstaatsvertrag, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 102. Lieferung, Stand: 12/2024, § 99a MedienStVtr BW, Rn. 44.

41

Herberger, CR 2025, 170, 175.

42

Borges, in: BeckOK IT-Recht, 18. Edition, Stand: 1.4.2025, DS-GVO Art. 33, Rn. 12.

43

EuGH, 18.10.1989 – C-374/87, juris, Rn. 18 ff., Rn. 35.

44

Martini, in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 33, Rn. 27; Borges, in: BeckOK IT-Recht, 18. Edition, Stand: 1.4.2025, DS-GVO Art. 33, Rn. 12.

45

BDI/Ebner Stolz (Hrsg.), Steuer- und Wirtschaftsrecht 2025, 2025, I. Allg. Wirtschaftsrecht, Rn. 22; Hauschild, DSB 2024, 177; Brumme/Rätze,
WRP 2025, 835, 840 f. Rn. 95 ff.

46

Lommatzsch/Albrecht, GWR 2022, 355, 357; Nickl/Heuser, GRUR-Prax 2024, 803, 804; Ruttloff/Wagner/Misztl, ESG 2023, 325, 330.