Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung 21 vom 25.10.2025 Seite 22
Über den Tag hinaus denken
Verlieren ESG-Initiativen an Relevanz? Das Magazin Nachhaltigkeit widmet sich den aktuellen Aktivitäten im Gastgewerbe und stellt Best Cases vor.
Verfolgt man die Signale, die seit dem Amtsantritt des US- Präsidenten Donald Trump aus den USA auch in Europa ankommen, scheint die Zeit für Nachhaltigsinitiativen vorbei. Vielen, vor allem börsennotierten Konzernen, die sich in den vergangenen Jahren in die vordersten Reihen der ESG-Vorkämpfer gestellt hatten, ist die vermeintliche Zeitenwende offenbar willkommen.
Die Meldungen zum Verzicht auf ESG-Maßnahmen in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung sind Legion und zeugen davon, dass das Engagement dieser Unternehmen für Nachhaltigkeit entgegen aller Beteuerungen doch eher einer Green-Washing-Attitüde entsprang und kurzfristige Gewinnmaximierung das A und O bleibt. Doch nicht nur die zunehmenden Wetterkapriolen mit ihren wirtschaftlichen Risiken und Nebenwirkungen sowie die sich zuspitzende gesellschaftliche Polarisierung zeigen, dass an politischen und unternehmerischen Entscheidungen, die über den Kurzfrist-Horizont hinausreichen, kein Weg vorbeiführt.
Weiterhin eine wichtige Richtschnur im Gastgewerbe
In dieser Hinsicht bleibt aktuell der in Europa und Deutschland nach wie vor geltende Rechtsrahmen in Bezug auf ESG-Kriterien nach wie vor die Richtschnur für Unternehmen – auch wenn die Erkenntnis reift, den Überbürokratisierungsexzess der vergangenen Jahre zu beenden und Maßnahmen zu entschärfen, die über ein vernünftiges Maß an Aufwand und Ertrag hinausgehen.
Viele Unternehmen, insbesondere aus dem Peoplebusiness Hotellerie und Gastronomie – und das ist die gute Nachricht –, richten ihr Handeln aus Überzeugung ohnehin und weiterhin an nachhaltigen und langfristig zukunftsgerichteten Kriterien aus, wovon aktuelle Fallbeispiele im Magazin Nachhaltigkeit, das dieser Ausgabe beiliegt, zeugen.
Oft sind es die familiengeführten Hotels und Restaurants, die Nachhaltigkeit als Richtschnur ihrer unternehmerischen Aktivitäten in ihrer DNA verankert haben – nicht zuletzt mit Blick auf die nachfolgenden Generationen. So wie beispielsweise beim Biohotel Eggensberger im Luft- und Kneippkurort Hopfen am See bei Füssen im Allgäu. Andreas Eggensberger, der Vater der Hotelfamilie und Initiator des Nachhaltigkeitskonzepts berichtet: „Wir waren in der Vergangenheit mal eine Kurklinik, die sich seit jeher mit Bauernhofprodukten selbst versorgt hat“. Heute wartet das Hotel mit einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie auf und leistet jenseits von Wellnessangeboten und Therapiezentrum Pionierarbeit in der zunehmend autarken Versorgung – sei es mit Strom, Wärme oder Bio-Lebensmitteln.
Die Energieversorgung stellt dabei eine wichtige Stellschraube dar. Seit 2008 verzichtete das Biohotel auf fossile Energieträger und stellte Schritt für Schritt auf eine unabhängigere Versorgung um. Ein Drittel des Stroms stammt von Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach mit inzwischen 1000 qm Solarfläche. Ein weiteres Drittel der Energie entspringt dem Wasserstrom Lech. Das letzte Drittel Energie kommt aus dem benachbarten Blockheizkraftwerk, das Biogase wie Methan und nicht verfütterungsfähige Lebensmittelreste verbrennt. Mit dem CO2-freundlichen Biogas betreibt man unter anderem die Motoren der kleinen Flotte aus E-Autos, E-Bikes und E- Dreirädern, welche Gäste, die mit Bahn und Bus anreisen, kostenlos nutzen dürfen.
Eggensberger ist bewusst, dass sich derartige Energiekonzepte für ein Hotel nicht sofort rechnen, konventioneller Strom sei eindeutig billiger: „Uns interessiert die Amortisationszeit jedoch nicht. Wir zahlen gerne den dreifachen Preis, weil es uns wichtig ist.“ Die ersten zehn Jahre machte das Biohotel deshalb keinen Gewinn – inzwischen profitiere man davon, dass keine CO2-Aufschläge zu zahlen sind.
Regionale Küche mit eigenem Anbau auf die nächste Stufe heben
Auch bei den Lebensmitteln stehen Regionalität, Frische und Bio hoch im Kurs, ein großer Teil kommt aus der direkten Umgebung, wie etwa Milch, Joghurt und Rindfleisch vom Bioland-Bauernhof von Andreas Eggensbergers Bruder Josef. Mit diesem Farm-to-Table- Konzept reiht sich Eggensberger in eine Reihe von Köchen ein, die aus Überzeugung und mit Blick auf die Qualität ihrer verarbeiteten Produkte.
Ricky Saward beispielsweise wagt Nachhaltigkeit in der Spitzenküche und zelebriert in seinem Sevens Swans in Frankfurt vegane Gourmetgerichte und Farm-to-Table auf höchstem Niveau. Das Restaurant bewirtschaftet ein etwa drei Hektar großes Feld bei Bad Homburg. Eine Kooperation mit einer Genossenschaft in Oberrad ermöglicht den exklusiven Anbau. Der Küchenchef erntet täglich persönlich – und sammelt im Taunus wilde Kräuter, Sprossen, Knospen und Früchte wie Mirabellen.
Auch Sternekoch Denis Feix vom Marburger Esszimmer fährt selbst auf die Felder des Hofguts Dagobertshausen und des Bio-Hofguts Ginseldorf, wo für ihn angebaut wird, was später auf seinen Tellern begeistert. Auf der Karte spielt Gemüse in ungewöhnlichen Kombinationen und Texturen die Hauptrolle, wobei bewusst auf alte, seltene Gemüsesorten und Kräuter gesetzt wird. Sie verkörpern das Konzept des Green Fine-Dining – eine kulinarische Vision, bei der Nachhaltigkeit und Kreativität Hand in Hand gehen.
Jochen Zimmer



