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Reichensteuer möglich
Quelle: agrarzeitung 2025 Heft 35 vom 29.08.2025, Seite 4


agrarzeitung 35 vom 29.08.2025 Seite 4

Reichensteuer möglich

CDU-Abgeordneter offen für Steuererhöhungen und neue Erbschaftsregelungen

Berlin. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat den „Herbst der Reformen“ ausgerufen und damit eine umfassende Debatte über Sozialstaatsreformen, Arbeitszeitflexibilisierung und Steuererhöhungen eingeleitet. Begleitet wird der Prozess von aktuellen Sondersitzungen des Haushaltsausschusses, der noch im September den Bundeshaushalt 2025 beschließen soll.

Merz hatte sich wiederholt für eine Flexibilisierung und Erhöhung der Wochenarbeitszeit eingesetzt. Besonders betroffen wären Beschäftigte im Gastgewerbe und in der Lebensmittelindustrie.

Bereits jetzt leisteten deutsche Arbeitnehmer 2024 rund 1,2 Mrd. Überstunden – davon 638 Mio. unbezahlt. Allein in Hotels und Gaststätten kamen 21,6 Mio. Überstunden zusammen, 53 Prozent davon unentgeltlich.

Steuererhöhung denkbar

Parallel zur Arbeitszeitdebatte sorgt ein ungewöhnlicher Vorstoß aus den eigenen Reihen für Aufmerksamkeit. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt hatte einen Tag vor der jüngsten Haushaltsausschuss- Sondersitzung eine Erhöhung der Reichensteuer vorgeschlagen – gekoppelt an Sozialreformen. Hintergrund sind massive Haushaltslöcher: Für 2026 klafft eine Finanzierungslücke von geschätzten 25 Mrd. €. „Ich habe dem Bundeskanzler mitgeteilt, dass ich mit den bisherigen Umsetzungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, auch als Unternehmer, noch nicht zufrieden bin“, schrieb der frühere Lebensmittelindustrie-Manager Mattfeldt.

Die Reichensteuer von 45 Prozent greift ab circa 278000 € zu versteuerndem Jahreseinkommen und betrifft auch Gewinne aus landwirtschaftlichen Betrieben sowie Unternehmen der Agrar- und Lebensmittelbranche. 2020 hatten bundesweit 133000 Steuerpflichtige Einkünfte oberhalb dieser Schwelle, darunter auch größere Agrarbetriebe und Lebensmittelproduzenten. Eine Anhebung auf 48 Prozent würde 3 Mrd. € Mehreinnahmen bringen.

Gewerkschaften in Sorge

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) befürchtet durch die geplanten Arbeitszeitreformen massive Gesundheitsbelastungen. „Nach acht Stunden steigt das Unfallrisiko rapide an“, warnt der stellvertretende NGG-Vorsitzende Freddy Adjan. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerate unter Druck. „Wer holt die Kinder aus Kita oder Hort, wenn die Schicht zwölf Stunden dauert?“

CSU lehnt VorstoĂź ab

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bleibt bei seiner ablehnenden Haltung zu Steuererhöhungen. Er wünsche der Koalition mehr „Harmonie statt Hyperventilieren“. Eine Insa-Umfrage zeigt jedoch: 55 Prozent der Deutschen sprechen sich für höhere Abgaben bei Spitzenverdienern aus.

Die obersten 10 Prozent der Steuerpflichtigen – ab 87162 € Jahreseinkommen – tragen bereits 56,9 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens.

Die NGG warnt eindringlich vor den Arbeitszeitplänen der Bundesregierung. „Schwarz-Rot will eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und den 8-Stunden-Tag abschaffen“, sagt Adjan. Im Extremfall wären 73,5-Stunden-Wochen möglich – sechs Tage à zwölf Stunden und 15 Minuten.

Gewerkschaften appellieren an die Bundesregierung: „10- oder 12-Stunden-Tage schaffen keine Fachkräfte.“ Die richtigen Hebel seien bessere Arbeitsbedingungen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Qualifizierung und mehr Ausbildung.

Patrick Pehl