Betriebs-Berater
Lieferstopp in der Automobilzulieferkette: Risiken und Handlungsoptionen aus Lieferantensicht
Quelle: Betriebs-Berater 2025 Heft 47 vom 17.11.2025, Seite 2691


Jennifer Stauder
, RAin

Lieferstopp in der Automobilzulieferkette: Risiken und Handlungsoptionen aus Lieferantensicht*

Die Automobilindustrie ist durch Krisen und fragile Lieferketten besonders störungsanfällig. Produktionsausfälle verursachen erhebliche wirtschaftliche und rechtliche Risiken. Zunehmend reagieren Zulieferer mit Lieferstopps – ein Begriff ohne feste Definition, aber mit hoher Praxisrelevanz. Der Beitrag untersucht typische Konflikte zwischen Lieferpflicht und Realität, zeigt Risikominimierung durch Verträge und skizziert Strategien im Eskalationsfall.

I. Lieferstopp als Reizthema in der Praxis

Die Automobilindustrie ist ein zentraler Pfeiler der deutschen und europäischen Wirtschaft. Mit ihren komplexen, global verflochtenen Lieferketten steht sie wie kaum eine andere Branche für Effizienz und Präzision. Solche funktionierenden Lieferketten sind das Rückgrat der Produktion. Viele Werke arbeiten nach dem Just-in-Time-Prinzip, bei dem Bauteile nur kurze Zeit (teilweise wenige Stunden) vor der Montage und in einer genau festgelegten Menge angeliefert werden.1 Ein Ausfall einzelner Komponenten kann sofort zu einer Produktionsunterbrechung führen, denn ohne das fehlende Teil steht das ganze Band buchstäblich still. Solche Bandstillstände verursachen hohe Kosten, bringen Logistik- und Personalplanung durcheinander und ziehen oft auch sensible (vertragliche) Konsequenzen nach sich. Ein Paradebeispiel für die gravierenden Folgen, die der Produktionsausfall einzelner Teile nach sich zieht, ist in dem 2016 vorgefallenen Produktionsausfall bei Volkswagen zu sehen, hervorgerufen durch den Lieferstopp zweier Zulieferer.2 Gerade deshalb ist die Zuverlässigkeit der Belieferung für alle Akteure in der Lieferkette von enormer strategischer Bedeutung – und jede Störung hat weitreichende Folgen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Die letzten Jahre haben der Automobilindustrie ihre enorme Krisenanfälligkeit vor Augen geführt. Die schwierige Marktsituation erhöht den ohnehin auf den Zulieferern lastenden massiven Druck noch weiter: Chipkrise,3 Corona-Pandemie,4 Ukrainekrieg und global gestörte Logistikprozesse,5 gestiegene Rohstoffpreise,6 Personalknappheit, Zahlungsrückstände von Kunden oder veränderte politische Rahmenbedingungen können einzelne Lieferbeziehungen für den Zulieferer nur noch schwer zu tragen oder gar gänzlich untragbar machen. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)7 beispielsweise verschärft an vielen Stellen die Anforderungen an Unternehmen, birgt zusätzliche Kosten- und Organisationsrisiken und kann dadurch indirekt weitere Drucksituationen für Zulieferer auslösen, die Lieferstopps wiederum begünstigen. Da es jedoch keine vertraglichen Liefer- oder Abnahmeverpflichtungen regelt ist es für die rechtliche Bewertung von Lieferstopps jedenfalls im engeren Sinn nicht maßgeblich. Zur schwierigen Gemengelage hinzu kommen Verträge, die keine oder unklare Regelungen für außergewöhnliche Umstände enthalten. In dieser angespannten Konstellation kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Zulieferer wirtschaftlich oder rechtlich an Grenzen stoßen.

Diese Gemengelage hat nicht nur zu Lieferengpässen durch die gesamte Lieferkette geführt, sondern auch fundamentale Fragen zum Umgang mit Lieferstörungen aufgeworfen. Zunehmend kommt es dazu, dass Zulieferer mit Lieferstopps drohen oder diese gar aussprechen – teils offen, teils faktisch durch Ausbleiben der Lieferung, teils konkludent.8 Der Begriff “Lieferstopp” hat dabei in der (juristischen) Praxis der Automobilzuliefererindustrie eine bemerkenswerte Karriere gemacht – ohne jemals legal definiert worden zu sein. Dabei ist seine semantische Bandbreite groß und sein rechtlicher Gehalt oft diffus. In Verträgen, E-Mails, Eskalationsprotokollen oder gerichtlichen Schriftsätzen taucht er regelmäßig auf – mit unterschiedlichen Bedeutungen, aber immerwährend hohem Risiko. In der Literatur wird statt des Begriffs “Lieferstopps” an mancher Stelle auch der Begriff des “Bestellannahmestopps” verwendet.9 Der rechtliche Gehalt ist der gleiche.

In diesem Kontext ergeben sich zentrale Problemstellungen aus dem Spannungsfeld zwischen vertraglicher Liefer- und Abnahmeverpflichtung (nach dem Grundsatz “pacta sunt servanda”) und den realen, oft krisenbedingt veränderten Möglichkeiten. Unternehmen sehen sich oft gezwungen, kurzfristig auf Störungen zu reagieren, ohne tragfähige juristische Grundlage oder klare Risikoeinschätzung. Der Beitrag beleuchtet typische Konflikte aus Lieferantensicht, zeigt auf, wie Risiken durch kluge Vertragsgestaltung und Kommunikation reduziert werden können und welche Strategien im Eskalationsfall greifen, insbesondere dann, wenn der Lieferstopp unausweichlich erscheint. Im Fokus dabei stehen Handlungsoptionen des Zulieferers – vom Rückgriff auf Vertragsrecht bis zur gerichtlichen Auseinandersetzung.

II. Präventive Vertragsgestaltung und Prüfung eigener Pflichten

Ob ein drohender Konflikt eskaliert oder beherrschbar bleibt, hängt oft weniger vom Streit selbst als von der vorgelagerten Vorbereitung ab. Die Grundlage wird häufig bereits bei der Vertragsgestaltung und im Risikomanagement gelegt. Wer hier klar und vorausschauend handelt, kann Eskalationen vermeiden oder zumindest besser steuern.

Kommt es dennoch zu einer Störung, rückt die sachgerechte Einordnung der vertraglichen Pflichten, insbesondere im Hinblick auf Begriffe wie “Lieferstopp”, ebenso in den Fokus wie die Kommunikation mit dem Kunden. Die folgenden Abschnitte zeigen, welche Maßnahmen Lieferanten ergreifen können und wie sie im frühen Stadium eines Konflikts rechtlich und strategisch klug reagieren.

1. Prävention: Vertragsgestaltung und gewählte Kommunikation

Der beste Schutz vor einem eskalierenden Lieferstopp beginnt lange vor der eigentlichen Krise – nämlich bei der Vertragsgestaltung und im Risikomanagement. Verträge sollten klar regeln, wie Belieferung funktioniert, wann Force-Majeure greift und welche Reaktionsmöglichkeiten bei Störungen bestehen. Regelmäßige Reviews helfen, wirtschaftliche Zumutbarkeit zu prüfen und ggf. nachzuverhandeln. Frühwarnsysteme zu Kosten, Kapazitäten oder Ausfällen sowie ein internes Krisenschema sichern Handlungsfähigkeit. Beispielhaft seien hier die BMW Group Internationale Einkaufsbedingungen für Produktmaterial und Kraftfahrzeugteile (BMW Group IPC) anzuführen, in denen explizit festgehalten ist, wann höhere Gewalt vorliegt und welche Schritte im Fall ihres Vorliegens einzuleiten sind.

Kommt es dennoch zu Lieferengpässen, ist die Kommunikation mit dem Kunden entscheidend: Der Begriff “Lieferstopp” sollte vermieden werden, da er Eskalation auslösen kann. Besser sind sachliche, rechtlich geprüfte Hinweise auf temporäre Einschränkungen oder Verzögerungen. Wichtig ist eine dokumentierte, transparente und lösungsorientierte Kommunikation, die keine vorschnellen Schuldeingeständnisse enthält – aber Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. So lassen sich rechtliche Risiken minimieren und Gesprächskanäle offenhalten.

Doch selbst die beste Vorbereitung schützt nicht immer davor, dass es im Einzelfall zur Störung kommt. Dann rückt eine zentrale Frage in den Mittelpunkt: Besteht überhaupt eine rechtlich bindende Verpflichtung zur Lieferung – oder handelt es sich juristisch betrachtet gar nicht um einen Lieferstopp? Die genaue Prüfung der vertraglichen Ausgangslage ist deshalb der entscheidende Schritt jeder fundierten Einordnung.

2. Strategie im Störfall: Vertragliche Verpflichtung prüfen

Die Entscheidung, einen Lieferstopp auszusprechen, ist selten leichtfertig getroffen, sondern meist Folge wirtschaftlicher oder rechtlicher Überforderung. Steigende Rohstoff-, Energie- oder Logistikkosten bringen viele, besonders kleine und mittlere Zulieferer, in Schieflage, und an die Grenze der Insolvenz(-bedrohung).10 In der Praxis haben sich Auslöser wie exogene Störungen, wirtschaftliche Untragbarkeit und unternehmensinterne Faktoren als typisch für den Ausspruch von Lieferstopps erwiesen.

Damit der Schritt zum Lieferstopp rechtlich tragfähig ist – oder vermieden werden kann – muss der Lieferant vorab sicher klären, ob tatsächlich eine Lieferverpflichtung besteht, in welchem Umfang sie gilt, und ob und auf welcher rechtlichen Grundlage sie ggf. vorübergehend oder dauerhaft verweigert oder beendet werden kann. Nur so kann ein Lieferstopp wirksam und rechtssicher begründet oder (im besten Fall) verhindert werden.

a) Lieferpflicht

Im Kontext eines drohenden oder bereits erklärten Lieferstopps ist die Frage nach der rechtlichen Lieferverpflichtung wesentlich, denn wenn sie nicht besteht, kann ein Aussetzen der Belieferung wohl nicht als Vertrags- oder gar Gesetzesverstoß gewertet werden. Fehlt es dem Grunde nach an einer solchen Pflicht, liegt rechtlich betrachtet kein “Lieferstopp” vor, sondern lediglich die Nichtannahme eines neuen Angebots – mit erheblich anderen Konsequenzen für beide Seiten.11

Gerade in der Automobilzulieferindustrie ist die Bestimmung des Bestehens und Umfangs einer Lieferpflicht jedoch komplex. Sie ergibt sich meist nicht aus einem einzigen Vertrag, sondern aus einem Geflecht verschiedenster Dokumente: Rahmenverträge, Einzelabrufe, Qualitätssicherungsvereinbarungen, Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), Non-Disclosure-Agreements (NDA) und Logistikvereinbarungen stehen häufig nebeneinander und wirken in ihrer Gesamtheit; abzustellen ist jedoch immer auf die Umstände des Einzelfalles.12 Auch die tatsächliche Durchführung von Belieferungen – etwa eine langjährige Belieferung ohne förmlichen Vertrag – kann eine Bindung begründen.13 Hat der Lieferant über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig geliefert, kann daraus – insbesondere bei Original Equipment Manufacturer (OEM)-bezogenen Rahmenvereinbarungen – ein rechtlich relevanter Vertrauenstatbestand entstehen, aus dem sich eine Lieferpflicht ableiten lässt.14 So kann dem Schweigen in besonderen Fällen ausnahmsweise ein Erklärungswert zukommen, wenn der Schweigende nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet gewesen wäre, seinen abweichenden Willen zu äußern. Denkbar wäre dies in Fällen von langfristigen Geschäftsbeziehungen, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg so verfahren wurde, dass der Lieferant die Bestellung des Käufers immer wieder abweichend bestätigt, der Käufer darauf schweigt und der Lieferant dann trotz fehlenden Vertragsschlusses jeweils liefert. In der Praxis bleibt ohne systematische Prüfung oft unklar, ob eine verbindliche Verpflichtung zur Annahme und Erfüllung weiterer Abrufe besteht – oder ob sich die Parteien lediglich in einem rechtlich unverbindlichen Austausch befinden.

Besonders heikel wird dies, wenn Lieferanten im Vertrauen auf fehlende Bindung die Belieferung einstellen – und Kunden umgekehrt im Vertrauen auf eine Verpflichtung Schadenersatzansprüche geltend machen.15 In solchen Fällen kommt es entscheidend darauf an, ob aus dem Zusammenspiel von Rahmenvertrag, Abrufpraxis, AGB und tatsächlich gelebtem Verhalten eine Lieferpflicht – und wenn ja, in welchem Umfang – abgeleitet werden kann.

Welche konkreten Vereinbarungen maßgeblich sind, ob etwa Mengenfixierungen oder Exklusivbindungen vorliegen, wie Bestellungen rechtlich zu qualifizieren sind und welche Folgen sich daraus für die Laufzeit der Lieferbeziehung ergeben, sind zentrale Fragen, die im Streitfall sorgfältig beantwortet werden müssen. Daran knüpfen sich weitere Aspekte an – etwa die Möglichkeiten zur Kündigung, zur Anpassung laufender Verträge und zur Haftung bei Abbruch. Diese Themen werden in den folgenden Abschnitten näher beleuchtet.

aa) Mengenverpflichtung: Feste Mengen, Prognosen oder Bedarfsdeckung

Der Umfang der Lieferverpflichtung ist häufig durch die Vereinbarung fester Mengen (ggf. mit Toleranzbereichen) klar definiert. In manchen Fällen wird lediglich auf die “Bedarfe” des Kunden verwiesen, was Auslegungsspielräume eröffnet. Die gängigen Regelungsinhalte sind dabei die nachfolgenden:

  • Feste Mengen & Flexibilität: Manche Verträge regeln feste Mengen und Volumina, die der Lieferant bedienen (und selten: der Kunde auch abnehmen) muss. Die Mengen erstrecken sich meist auf Jahres- oder Projektmengen, die häufig ergänzt werden durch einen Flexibilitätsbereich (z. B. ±15 %). In diesem Fall besteht regelmäßig eine Pflicht zur Belieferung in diesem Rahmen. Der Lieferant kann sich in diesem Fall nur schwer gegen Lieferungen innerhalb des Bereiches verwehren.
  • Unverbindliche Bedarfsplanung: Andere Verträge enthalten keine fixen Mengenangaben, sondern nehmen nur auf zukĂĽnftige Bedarfsprognosen (z. B. Forecasts) Bezug, ohne dass diese als verbindlich gekennzeichnet sind. In einem solchen Fall kann argumentiert werden, dass keine Pflicht zur Belieferung besteht – insbesondere dann, wenn Abrufe nicht ausdrĂĽcklich angenommen wurden. Zur Veranschaulichung sei auf im Urteil des OLG Dresden16 abgedruckte Bestimmungen einer Vereinbarung ĂĽber “abweichende Ergänzungen zum Langzeitlieferantenvertrag” hingewiesen.
  • Bedarfsdeckungsklauseln: Einige Verträge enthalten Formulierungen wie “der Lieferant verpflichtet sich, die Bedarfe des Kunden zu decken” oder “Der Lieferant muss die Versorgung des Kunden sicherstellen”. Solche Klauseln können weitreichende Pflichten auslösen – mĂĽssen aber stets im Gesamtzusammenhang des Vertragswerks ausgelegt werden. Eine Lieferpflicht muss im Gesamtkontext der Vertragslandschaft und Geschäftsbeziehung bewertet werden. Besonders häufig begegnet man solchen Klauseln im Zusammenhang mit der Ersatzteilversorgung (sog. Aftermarket-Verpflichtung). Nur beispielsweise verlangen die Bedingungen BMW IPC 2022 vom Lieferanten, dass dieser “den Käufer oder von diesem benannte Dritte in ausreichender Menge mit Waren fĂĽr die Verwendung als Ersatzteile zu versorgen [hat], . . .”.17 Werden Bedarfsdeckungsklauseln vereinbart, kann ein Lieferstopp – etwa durch Verweigerung weiterer Abrufe – also durchaus als Bruch einer zentralen Hauptpflicht gewertet werden.18
bb) Einzelbestellungen und Abrufe

Ob und wann eine Lieferpflicht für konkrete Abrufe oder Bestellungen entsteht, hängt außerdem stark davon ab, wie die vertragliche Struktur zwischen Lieferanten und Kunde konkret ausgestaltet ist.

  • Annahmeerklärung erforderlich: Ist im (Rahmen-)Vertrag geregelt, dass Bestellungen nur durch ausdrĂĽckliche Annahme des Lieferanten wirksam werden, entsteht eine Lieferpflicht nur fĂĽr solche Bestellungen, die tatsächlich bestätigt wurden. FĂĽr kĂĽnftige Bestellungen besteht damit grundsätzlich kein Annahmezwang – der Lieferant kann diese ablehnen, solange keine stillschweigende Bindung aus dem VertragsgefĂĽge, etwa durch regelmäßige Annahme ohne Vorbehalt, besteht. Auch hier liefern die Bedingungswerke von BMW ein Beispiel. Dort kann der Verkäufer binnen einer festgelegten Frist nach Zugang der Bestellung “eine schriftliche Annahmeerklärung ab[geben]”.19
  • Annahmefiktion: Enthält der Vertrag – oft ĂĽber Einkaufsbedingungen – eine Klausel, wonach das Schweigen des Lieferanten auf eine Bestellung als Annahme gilt, liegt eine sogenannte Annahmefiktion vor. In diesem Fall entsteht die Lieferverpflichtung auch ohne ausdrĂĽckliche Zustimmung meist nach Zeitablauf weniger Tage, sofern dem Lieferanten keine Option zum Widerspruch gegeben wird. Derartige Regelungen sind rechtlich grundsätzlich zulässig, sofern sie vertraglich wirksam einbezogen und nicht ĂĽberraschend oder unangemessen sind. Ihre Bedeutung wird häufig unterschätzt. Denn eine Bindungswirkung und Lieferpflicht entsteht hier im Zweifel allein durch Zeitablauf.
  • Vertragliche Widerspruchsmöglichkeiten: Manche Kunden-Verträge sehen – oft in Kombination mit einer Annahmefiktion – ausdrĂĽcklich Widerspruchsoptionen fĂĽr den Lieferanten vor. Dann erfolgt die fingierte Annahme entweder durch Zeitablauf (zumeist wenige Werktage nach Eingang des Abrufs oder der Bestellung) und/oder wenn der Lieferant keinen vertraglich vorgesehenen Widerspruchsgrund vorlegt. Versäumt der Lieferant die Frist oder kann er keinen vertraglich akzeptierten Widerspruchsgrund vorlegen, wird dies als stillschweigende Annahme gewertet mit den voranstehend beschriebenen Konsequenzen. So sehen die Porsche Einkaufsbedingungen fĂĽr Produktionsmaterial beispielsweise vor, dass “Lieferabrufe spätestens verbindlich [werden], wenn der Vertragspartner nicht binnen fĂĽnf Werktagen seit Zugang widerspricht.”20 Nicht selten sieht man in der Praxis gerade in schwierigen Geschäftsbeziehungen Kunden, die dem Lieferanten zahlreiche Bestellungen schicken und diesem die Ressourcen fehlen, die Bestellungen zu prĂĽfen – geschweige denn diesen fristgerecht zu widersprechen. FĂĽr die rechtliche Bewertung eines Lieferstopps ist bei Annahmefiktionen (mit und ohne Widerspruchsoption) besondere Vorsicht geboten: Denn wenn keine ausdrĂĽckliche Ablehnung erfolgt, kann allein durch Zeitablauf eine Lieferverpflichtung entstehen. In diesem Fall hat das Schweigen des Lieferanten Bindungswirkung – und eine spätere Nichtlieferung kann einen rechtswidrigen Lieferstopp darstellen. Operativ muss also sichergestellt sein, dass Bestellungen rechtzeitig geprĂĽft und ggf. ausdrĂĽcklich zurĂĽckgewiesen werden – andernfalls drohen unerwĂĽnschte Bindungswirkungen.
cc) Zeitlicher Rahmen der Lieferpflicht

Auch die Laufzeit der vertraglichen Lieferbeziehung ist ein zentraler AnknĂĽpfungspunkt fĂĽr die rechtliche Einordnung eines Lieferstopps:

  • Vertraglich festgelegte Laufzeit: Ist im Rahmenvertrag ein konkreter Zeitraum (z. B. “von SOP bis EOP” oder verknĂĽpft mit der Projektlaufzeit) vereinbart, ist die Lieferung grundsätzlich bis zum Ende dieser Laufzeit geschuldet. Ein Lieferstopp vor Ablauf dieser Frist stellt regelmäßig eine Vertragsverletzung dar – es sei denn, es liegen auĂźerordentliche KĂĽndigungsgrĂĽnde oder Unmöglichkeitstatbestände vor.21
  • Fehlende oder unklare Laufzeitregelungen: Ist die Dauer der Lieferverpflichtung nicht eindeutig geregelt und koppelt sie sich auch nicht an die Projektlaufzeit oder Produktionszeit, ist mit guten Argumenten von einem Dauerschuldverhältnis auf unbestimmte Zeit auszugehen (oft auch genannt: sog. “Lifetime”-Vertrag).22 In diesem Fall besteht möglicherweise ein Recht zur ordentlichen KĂĽndigung mit angemessener Frist. Aber: Erst mit Zugang dieser KĂĽndigung und Ablauf der Frist endet die Lieferpflicht – ein vorheriger Lieferstopp wäre unzulässig.
  • Verlängerungsklauseln und Aftermarket: Achten sollte der Lieferant auch auf automatische Verlängerungsklauseln oder auf explizite Regelungen zur Ersatzteillieferung nach EOP. Diese verlängern die Lieferpflicht häufig ĂĽber die eigentliche Serienlaufzeit hinaus – und begrenzen die Möglichkeit eines Lieferstopps zusätzlich.23 

b) (Leistungs-)Verweigerung der Lieferpflicht

Selbst wenn eine Lieferverpflichtung besteht, kann sich im Gesamtkontext der Vertragsbeziehung die Frage stellen, ob die Lieferung (vorübergehend) verweigert werden darf, ohne sich vertragsbrüchig zu verhalten – etwa aufgrund eines Zurückbehaltungsrechts (§ 273 BGB) oder wegen Unmöglichkeit (§ 275 BGB). Eine solche Leistungsverweigerung ist dann kein rechtwidriger Lieferstopp, sondern eine rechtlich anerkannte Ausnahme. Diese Unterscheidung ist für eine sichere Argumentation im Konfliktfall entscheidend.

aa) Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB)

Ein Lieferant kann die Lieferung verweigern, wenn der Kunde seinen vertraglichen Pflichten nicht nachkommt – etwa bei Zahlungsverzug, fehlender Sicherheitsleistung oder unterlassener Mitwirkung (z. B. Abruf oder Spezifikation). Voraussetzung ist, dass ein fälliger Anspruch des Lieferanten aus demselben Vertragsverhältnis besteht und Leistung sowie Gegenleistung in einem rechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnis stehen.24

In der Praxis ist das Zurückbehaltungsrecht allerdings oft durch vertragliche Klauseln eingeschränkt oder ausgeschlossen. Ist es anwendbar, muss es gezielt und konkret ausgeübt werden – ein bloßer Verweis auf “offene Forderungen” genügt regelmäßig nicht. Ein korrekt kommuniziertes Zurückbehaltungsrecht kann in der Praxis helfen, indem der Lieferant nicht den Eindruck erweckt, er verweigere die Lieferung willkürlich oder endgültig. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Formulierung in der Kommunikation: “Lieferung wird bis zur Erfüllung der Gegenleistung zurückgehalten” wirkt juristisch tragfähiger als die scharfe Aussage, man “stoppt jede Lieferung”.

bb) Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB)

Ein Lieferstopp kann außerdem rechtlich zulässig und mithin nicht rechtwidrig sein, wenn eine Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB vorliegt. Die Vorschrift greift, wenn die Lieferung (1) objektiv unmöglich ist (z. B. zerstörte Produktionsstätte), (2) subjektiv für den konkreten Lieferanten nicht mehr leistbar ist, oder (3) nur mit unzumutbarem Aufwand erbracht werden könnte (etwa bei gravierenden Kostensteigerungen oder massiven Kapazitätsverschiebungen).

Solche Einreden und Einwendungen werden von Gerichten jedoch eng ausgelegt. Nur dauerhafte Leistungshindernisse oder eine klare Unzumutbarkeit entbinden von der Lieferpflicht. Vorübergehende Engpässe, Preissteigerungen oder gestörte Lieferketten reichen meist nicht aus.25

Auch hier ist eine sorgfältige Formulierung entscheidend: Wer sich auf § 275 BGB beruft, muss vermeiden, den Eindruck eines einseitigen Lieferstopps ohne rechtliche Grundlage zu erwecken. Stattdessen sollte kommuniziert werden, dass die Leistung rechtlich nicht mehr geschuldet ist, weil sie unmöglich oder unzumutbar geworden ist. Damit wird das Risiko reduziert, dass der Kunde den Schritt als vertrags- und mithin rechtswidrigen Lieferstopp auslegt.

c) Beendigung der Lieferpflicht

Selbst bei bestehender Lieferpflicht und fehlendem Leistungsverweigerungsrecht muss die Belieferung nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Vielmehr besteht dem Grunde nach die Möglichkeit, sich durch Kündigung, Rücktritt oder andere Gestaltungsrechte rechtssicher aus der vertraglichen Bindung zu lösen. Dabei sind Zeitablauf und Kündigungsfristen zu beachten und einvernehmliche Lösungen immer mitzudenken.

Gerade die Beendigung einer Vertrags- und/oder Projektbeziehung ist jedoch ein sensibler Schritt: Unberechtigte Kündigungen gelten schnell als Vertragsbruch mit erheblichen Folgen und auch berechtigte Kündigungen schädigen eine Geschäftsbeziehung oft nachhaltig. Deshalb sind auch hier eine sorgfältige rechtliche Prüfung und klare Kommunikation unerlässlich.

aa) Ordentliche KĂĽndigung

Ob ein Vertrag ordentlich gekündigt werden kann, hängt maßgeblich von dessen Inhalt ab. Selten enthalten die Verträge ausdrückliche ordentliche Kündigungsrechte für den Lieferanten. Selbst wenn eine Kündigungsmöglichkeit vertraglich allerdings nicht zwischen Zulieferer und Kunde vereinbart ist, kann sie unter Beachtung der nachstehenden Grundsätze ausgesprochen werden:

Die ordentliche Kündigung für Rahmenlieferverträge ist gesetzlich zwar nicht ausdrücklich geregelt. Sie kommt allerdings nach aktueller Rechtsprechung durch analoge Anwendung der §§ 624, 723 BGB in Betracht.26 Hierfür sind die folgenden Voraussetzungen zu erfüllen:

  • die ordentliche KĂĽndigung darf nicht durch eine vertragliche Regelung ausgeschlossen sein;
  • bei dem Liefervertrag muss es sich um ein Dauerschuldverhältnis handeln, d. h. das Ende der Vertragsbeziehung darf nicht vorab bestimmt (oder bestimmbar) sein – weder durch ein konkretes Enddatum noch durch ein bestimmbares Ereignis, wie etwa ein abschlieĂźend festgelegtes Projektende;
  • eine im Einzelfall “angemessene” KĂĽndigungsfrist muss eingehalten werden. Diese kann sich etwa an der Dauer orientieren, die fĂĽr eine Umstellung der Produktpalette erforderlich ist.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann sich der Zulieferer mittels einer ordentlichen Kündigung aus bestehenden Verträgen oder Projekten regelmäßig lösen, ohne sich vertragsbrüchig zu verhalten.

bb) Außerordentliche Kündigung (§ 314 BGB)

Auch ein wichtiger Grund kann zur (dann: außerordentlichen) Kündigung berechtigen. Als wichtiger Grund gilt jede unzumutbare Fortsetzung des Vertragsverhältnisses – etwa gravierende Pflichtverletzungen des Kunden, wiederholte Zahlungsverzögerungen oder schwerwiegende Änderungen der wirtschaftlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen. Auch ein vollständiger Wegfall der wirtschaftlichen Grundlage (Stichwort: § 313 BGB) kann als Kündigungsgrund herangezogen werden. Die Kündigung muss in angemessener Frist nach Kenntnis des Kündigungsgrunds erklärt werden, sonst ist sie unwirksam.

In der Praxis zeigt sich, dass auĂźerordentliche KĂĽndigungen aufgrund ihrer hohen HĂĽrden die absolute Ausnahme darstellen und auch in der gerichtlichen Praxis nur selten anerkannt werden.27 Nichtsdestotrotz muss auch sie mitgedacht werden.

cc) Vertragsauflösung durch Einvernehmen

Eine oft übersehene Möglichkeit ist die einvernehmliche Vertragsaufhebung. Gerade bei angespannten Marktverhältnissen kann es gelingen, mit dem Kunden über eine Freigabe aus der Lieferpflicht zu verhandeln – etwa durch einvernehmliche Mengenanpassung, temporäre Aussetzung oder vollständige Beendigung. Zu Teilen sieht man hier auch die gegenseitige Unterstützung zum Aufbau eines alternativen Lieferanten im Gegenzug zu einer zügigen Entlassung aus bestehenden Pflichten. Voraussetzung ist aber auch hier eine klare Kommunikation und Kenntnis seiner eigenen Rechten und Pflichten.

III. Eskalationsfall: Strategien bei Konflikt, Streitigkeit und Verfahren

Kommt es zum offenen Konflikt zwischen Lieferanten und Kunde – etwa infolge eines kommunizierten oder durchgeführten Lieferstopps – beginnt häufig eine Phase juristischer und wirtschaftlicher Eskalation. Reaktionen wie Lieferaufforderungen, Schadensersatzdrohungen oder gar gerichtliche Maßnahmen lassen meist nicht lange auf sich warten. Für Lieferanten ist in dieser Situation schnelles, strukturiertes und rechtlich abgesichertes Handeln entscheidend. Es gilt, drohende Nachteile zu minimieren, gleichzeitig aber die eigene Position taktisch klug zu behaupten. Im Folgenden wird dargestellt, wie Kunden aus der Praxiserfahrung heraus typischerweise reagieren – und welche rechtlichen und strategischen Handlungsoptionen dem Lieferanten zur Verfügung stehen.

1. AuĂźergerichtliche Auseinandersetzung

Nach einem Lieferstopp fordert der Kunde meist schnell die (Wiederaufnahme der) Lieferung, oft verbunden mit Fristsetzung und Eskalation auf Managementebene. Teilweise gehen diese Forderungen in solche nach Schadensersatz, Vertragsstrafe, teilweise auch Forderung nach Deckungskäufen oder Kündigung einher. Die Eskalationsmodelle sind vielfältig und variieren je nach Kunde.

In jedem Fall ist taktisches Fingerspitzengefühl gefragt: Eine sofortige, glaubwürdige Rückmeldung kann eine weitere Eskalation verhindern. Zugleich sollte der Lieferant intern prüfen: Gibt es Spielräume (und Wille) zur kurzfristigen Bedienung – auch in reduzierter Menge oder mit Alternativen? Andernfalls muss sauber argumentiert werden, wenn und warum eine Lieferung derzeit nicht möglich ist.

Verlangen Kunden zudem Schadensersatz wegen Produktionsausfällen oder Deckungskäufen, erhöht das den Druck weiter. Die rechtliche Durchsetzbarkeit solcher Ansprüche hängt allerdings von weiteren Voraussetzungen wie ordnungsgemäßer Mahnung, Verzug, Angemessenheit des Deckungskaufs und möglichem Mitverschulden ab. Vertragsstrafen setzen meist eine explizite Vereinbarung und ordnungsgemäße Geltendmachung voraus. Wichtig ist hier also, zügig und rechtssicher zu reagieren, sich aber nicht in Zugeständnisse treiben zu lassen.

Sowohl die eigenen als auch die Ansprüche des Kunden sollten vor der Reaktion geprüft und ggf. offensiv adressiert werden – etwa in einem Schreiben, das sorgfältig aufgesetzt und mit allen relevanten Stellen abgestimmt ist.

2. Gerichtliche Auseinandersetzung

Kommt es nach einem Lieferstopp zum offenen Konflikt, steht immer häufiger ein gerichtliches Verfahren im Raum – sei es durch Klage des Kunden auf Lieferung oder Schadensersatz, sei es durch Abwehrmaßnahmen des Lieferanten. Kommt es zur gerichtlichen Auseinandersetzung – etwa in Form eines einstweiligen Verfügungsverfahrens –, sind schnelle Reaktionen gefragt.28

a) Grundlegend zu beachtende prozessuale Besonderheiten

Kommt es wegen eines Lieferstopps zur Klage, stehen häufig Ansprüche auf Lieferung, Schadensersatz oder Vertragsstrafe im Raum. Dabei sollte sich der Lieferant im Klaren darüber sein, was er darlegen und beweisen muss – und was nicht.

In solchen Prozessen muss der Kunde regelmäßig die Lieferpflicht und deren Verletzung beweisen,29 etwa durch Vorlage der Bestellung, der Rahmenvereinbarung und dokumentierter Kommunikation. Auch der Schaden muss konkret und nachvollziehbar dargelegt werden.30 Das umfasst Produktionsausfälle, Deckungskäufe, Vertragsstrafen oder entgangenen Gewinn. Der Lieferant muss dagegen darlegen und beweisen, warum er berechtigt oder unverschuldet nicht liefern konnte31 – etwa wegen Force Majeure oder Unmöglichkeit. Dafür reichen pauschale Hinweise auf “Krisen” nicht aus: Erforderlich sind belastbare Nachweise (z. B. zu Beschaffungsversuchen oder Preisentwicklungen).

Besonders brisant ist dabei, dass viele relevante Unterlagen Geschäftsgeheimnisse enthalten. Das betrifft insbesondere solche Unterlagen zu Preisen, Margen, Kalkulationen oder Lieferstrukturen. Dank des vergleichsweise neuen § 273a ZPO, der die Vorschriften des GeschGehG in die ZPO transferiert, lassen sich sensible Daten im Prozess allerdings nun (besser) schützen32 – z. B. durch Schwärzungen oder beschränkter Einsichtnahme. Bei internationalen Lieferbeziehungen muss zudem immer mitgedacht werden, welches Recht gilt und ob ausländische Gerichte oder Schiedsstellen zuständig sind – und vor allem, ob deren Entscheidungen anschließend vollstreckbar sind.

b) Die einstweilige Verfügung – wenn der Druck eskaliert

In hochkritischen Situationen – etwa, wenn ein Liefer- und damit Produktionsstopp droht oder bereits eingetreten ist – kann gerichtlicher Eilrechtsschutz in Betracht kommen. Die Tendenz zeigt, dass Kunden immer häufiger und immer schneller zu diesem Mittel greifen. Denkbar sind insbesondere:

  • einstweilige VerfĂĽgungen auf Lieferung,
  • Arrest zur Sicherung von SchadensersatzansprĂĽchen,
  • einstweilige VerfĂĽgungen zur Unterlassung bestimmter Erklärungen oder MaĂźnahmen.33

Solche Maßnahmen sind aber nur bei besonderer Dringlichkeit und ausreichender Erfolgsaussicht möglich (§§ 935 ff. ZPO). Die Darlegungslast liegt beim Kunden als Antragsteller, was in technischen Lieferkonstellationen eine erhebliche Hürde darstellen kann. Der Kunde muss konkret aufzeigen, warum die Belieferung vertraglich verpflichtend, durchsetzbar, notwendig und zumutbar ist – pauschale Hinweise auf einen eigenen drohenden “Produktionsausfall” oder “Systemrelevanz” der Belieferung genügen nicht.

Besonders häufen sich gerichtliche Eilverfahren, bei denen der Lieferant vorläufig zur Lieferung verpflichtet wird. Der Vorteil für den Kunden spiegelt sich im Nachteil des Lieferanten: Eine einstweilige Verfügung kann innerhalb kürzester Zeit, oft weniger Tage erlassen werden und sie ist regelmäßig sofort vollstreckbar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren wird lediglich eine summarische Prüfung (im Wesentlichen: der Lieferpflicht) vorgenommen und zu Teilen sogar auf eine Anhörung des Lieferanten verzichtet. Selbst wenn sich also später herausstellt, dass der Lieferant im Recht war, ist der Titel gegen ihn vorerst “in der Welt” – und schadet Image, Geschäftsbeziehungen und insbesondere Verhandlungsposition erheblich. Das erweist sich in der Praxis als besonders risikoreich für den Zulieferer. Denn Kunden – und je nach kundenseitiger Darstellung auch Gerichte – neigen dazu, bereits die bloße Ankündigung, dass eine Lieferung irgendwann (und aus welchen Gründen auch immer) nicht mehr erfolgen kann als ausreichend für einen rechtwidrigen Lieferstopp anzusehen.34

Um eine solche Verfügung zu vermeiden, ist es für Lieferanten entscheidend, ihre Position frühzeitig und nachvollziehbar darzustellen – idealerweise auch mit juristischer Vorbereitung. Ein bewährtes, prozessuales Instrument zur Verteidigung gegen eine drohende einstweilige Verfügung ist die Schutzschrift. Dabei handelt es sich um ein vorsorglich bei Gericht eingereichtes bzw. beim Zentralen Schutzschriftenregister hinterlegtes Dokument, in dem der Lieferant seine Sichtweise schildert, rechtliche Argumente vorbringt und den Sachverhalt darlegt. Die Schutzschrift soll jedenfalls verhindern, dass das Gericht die Verfügung ohne Anhörung erlässt, bestenfalls dazu führen, dass ein Antrag auf einstweilige Verfügung des Kunden sofort abgelehnt wird. Sie sorgt dafür, dass im Fall eines Antrags auf einstweilige Verfügung auch die Argumente des Lieferanten berücksichtigt werden, bevor ein Titel geschaffen wird. Für Zulieferer in angespannten Vertragsverhältnissen kann die Schutzschrift ein entscheidendes Werkzeug sein, um Risiken abzufedern und Zeit zu gewinnen.

IV. Fazit: Lieferstopp – rechtliches Risiko mit strategischer Komponente

Lieferstopps in der Automobilindustrie sind mehr als nur logistische Störungen – sie sind juristische und strategische Stresssituationen, die über Vertragsverhältnisse, Reputationen und Kundenbeziehungen entscheiden können. Die Komplexität der Lieferketten und die enge Taktung in der Produktion führen dazu, dass jeder Ausfall unmittelbare Konsequenzen hat – für alle Akteure der Lieferkette. Denn das “worst case scenario” des Stillstands in der Lieferkette liegt nicht im Interesse aller an einer Lieferung Beteiligten.35

Aus juristischer Sicht ist der Lieferstopp nicht ohne Weiteres zulässig, aber auch nicht in jedem Fall rechtswidrig. Besonders zentral ist die Erkenntnis, dass die rechtliche und die taktische Bewertung Hand in Hand gehen müssen. Weder das sture Beharren auf Paragraphen noch die Flucht in bloß diplomatische Formulierungen führen zum Ziel. Die Handhabung von Lieferstopps und ihren Gründen erfordert ein klares Verständnis der eigenen Vertragslage, eine präzise Kommunikation und ein strategisches Risikomanagement.

Wer zuverlässig, transparent und rechtlich sauber liefert – auch in der Krise – wird als Partner bestehen. Der Lieferstopp ist dann nicht nur rechtliches Risiko, sondern auch Gradmesser strategischer und organisatorischer Resilienz.

Jennifer Stauder, RAin, ist Senior Associate im Team Mobility bei der auf Produktrecht spezialisierten Wirtschaftskanzlei reuschlaw. Sie berät Unternehmen insbesondere in den Bereichen Produktsicherheit, Produkthaftung und Vertragsgestaltung entlang der automobilen Lieferkette. Schwerpunkt dabei: rechtssichere Gestaltung und Prüfung von Verträgen und Begleitung von Großschadensfällen.


*

Der Beitrag beruht auf Erfahrungen der Autorin aus ihrer anwaltlichen Praxis, insbesondere aus dem Verfahren LG Stuttgart, 27.4.2022 – 31 O 84/22 KfH, BeckRS 2022, 58996, an dem die Kanzlei, in der die Autorin beschäftigt ist, auf Seiten des Lieferanten beteiligt war. Dieser Beitrag wurde unter punktueller Zuhilfenahme der KI ChatGPT zur Optimierung der sprachlichen Klarheit und Lesbarkeit erstellt.

1

DiMatteo, in: DiMatteo u. a., International Sales Law, 2. Aufl. 2021, Rn. 119.

3

Ziegler/Heidling, Studie “Die Automobilindustrie in der Chip-Krise. Herausforderungen – Maßnahmen – Gestaltungsfelder” für das ISF München, unter https://www.isf-muenchen.de/pdf/Die_
Autoindustrie_
in_
der_
Chip-Krise_
HyValue_
Expertise_
2023_
DE.pdf (Abruf: 3.11.2025).

4

Puls, in: ifo Schnelldienst 5/2021 vom 12.5.2021, S. 3; Olle, in: ifo Schnelldienst 5/2021 vom 12.5.2021.

5

Zimmermann, RAW 2022, 111.

6

Beispielhaft für die Elektromobilität die Darstellung des Verbands der Automobilhersteller unter https://www.vda.de/de/themen/wirtschaftspolitik/rohstoffe (Abruf: 3.11.2025).

7

BGBl. I 2021, S. 2959. Im Übrigen ohnehin aktuell im Änderungsgesetzgebungsprozess, vgl. Wagner/Ruttloff/Schuler
BB 2025, 2627 ff.

8

OLG Düsseldorf, 5.2.2020 – U (Kart) 4/19, juris.

9

Budde/Eckhoff, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 5. Aufl. 2025, Rn. 89.

11

Budde/Eckhoff, in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 5. Aufl. 2025, Rn. 90.

12

So auch Bremenkamp, ZVertriebsR 2023, 206, 207 m. w. N.; Schaeuffelen, in: Hartung/Regula/Schaeuffelen, Rechtsfragen in der Automobil- und Zuliefererindustrie, 3. Aufl. 2024, Kap. 1., insb. Abschnitt IX.

13

LG Braunschweig, 12.8.2016 – 21 O 1578/ 16, juris, Rn. 57 ff.

14

Lange, NJW 2025, 1159, 1161; Schaeuffelen, in: Hartung/Regula/Schaeuffelen, Rechtsfragen in der Automobil- und Zuliefererindustrie, 3. Aufl. 2024, Kap. 1, Abschnitt IX.

15

LG Mannheim, 14.10.2019 – 24 O 38/19, juris.

16

OLG Dresden, 13.10.2022 – 10 U 2496/21, juris.

18

Lange, NJW 2025, 1159, 1162.

21

OLG Celle, 8.12.2020 – 13 U 65/19 (Kart), juris.

22

Lange, NJW 2025, 1159, 1161.

23

Zur kartellrechtlichen Relevanz OLG Naumburg, 14.1.2016 – 2 U 41/15 (Kart), BeckRS 2016, 132117.

24

Lange, NJW 2025, 1159 f.

25

Vorpeil, in: von Bernstorff, Praxishandbuch Internationale Geschäfte, 56. Aufl. 2025, Teil 2 Abschnitt A 4.4.1 Unmöglichkeit.

26

OLG Koblenz, 4.6.2013 – 3 U 375/13, juris, Rn. 38; OLG Koblenz, 1.10.2013 – 3 U 328/13, juris, Rn. 90, soweit das dienstvertragliche Element überwiegt; Lange, NJW 2025, 1159, 1160.

27

Vgl. OLG Stuttgart, 7.4.2022 – 2 U 63/21, juris, Rn. 83 ff.

28

LG Stuttgart, 4.4.2024 – 31 O 20/24/KfH, BeckRS 2024, 13953; LG Stuttgart, 18.6.2020 – 35 O 17/20 KfH, BeckRS 2020, 19209.

29

BGH, 14.1.1991 – II ZR 190/89, NJW 1991, 1052, 1053.

30

BGH, 1.3.2007 – IX ZR 261/03, NJW 2007, 2485, Rn. 36, BB 2007, 1468; Bacher, in: BeckOK ZPO, 58. Ed. 1.9.2025, § 287, Rn. 13.

31

BGH, 14.1.1991 – II ZR 190/89, NJW 1991, 1052, 1053.

32

Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl. 2025, § 273a, Rn. 3.

33

LG Stuttgart, 18.6.2020 – 35 O 17/20 KfH, BeckRS 2020, 19209; LG Stuttgart, 14.3.2023 – 31 O 43/23 KfH, BeckRS 2023, 7889.

34

LG Stuttgart, 27.4.2022 – 31 O 84/22 KfH, BeckRS 2022, 58996.

35

Haß/Goetsch/Steghöfer, BB 2024, 2824, 2825.