agrarzeitung 45 vom 07.11.2025 Seite 3
Landwirtschaft sollte sich öffnen
Experten fordern beim Smart Proteins Summit mehr Dialog, um gemeinsam Nischen zu erschließen
Der Smart Proteins Summit 2025 in Frankfurt machte deutlich: Die wachsende Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen bietet auch der Landwirtschaft konkrete Chancen. Damit das funktioniert, sollten beide Branchen gemeinsam Lösungen identifizieren und entwickeln.
Frankfurt a. M. Am Dienstag kam der Sektor für pflanzliche Proteine in Frankfurt zusammen, um über smarte Proteine und die Potenziale pflanzlicher Produkte zu diskutieren.
Der vierte Smart Proteins Summit am 4. November beleuchtete die gesamte Wertschöpfungskette alternativer Proteine – von der Forschung bis zur Produktion. Der Kongress ist eine gemeinsame Veranstaltung von BALPro, dem Bundesverband für alternative Proteine, und der dfv Conference Group. Die Vorträge waren von hochkarätigen Rednerinnen und Rednern besetzt.
Zu Beginn ging es um die Fakten. Während die Kategorie der Milchalternativen aus Pflanzen, die sogenannte weiße Linie, dynamisch wächst, haben es Fleisch-, Käse- und Fischalternativen momentan schwerer. So die unverblümte Wahrheit. Doch die Branche zeigte sich hoffnungsvoll kreativ und suchte nach Trends und Potenzialen, die noch ungenutzt sind.
Eine der Quintessenzen, die sich wie ein roter Faden durch den Kongresstag zog, war die Positionierung alternativer Proteine als Gesundheitsthema. Das könnte zum entscheidenden Wendepunkt für die junge, innovative Branche werden.
Trendthemen sind Regionales und Biologisches
Dr. Robert Kecskes, Senior Insights Director bei YouGov, brachte es auf den Punkt: Aktuell verbinden die Menschen Fleischalternativen nicht mit Gesundheit. Dabei haben die Verbraucher erkannt, dass sie zwar nicht die Welt verändern können, aber sich selbst. Selbstoptimierung spielt eine große Rolle, weshalb sich Konsumenten den Themen Tierwohl, Bio, Regionalität und eben Gesundheit so stark annähern. Kecskes machte aber auch deutlich: Preisparität scheint mehr und mehr gegeben zu sein, doch „Preisfokus erzeugt keine Aufbruchsstimmung!“ Entscheidend sei es, auch Geschmacksparität herzustellen.
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, einer der bekanntesten Mediziner Deutschlands und Lehrstuhlinhaber für Radiologie und Mikrotherapie der Universität Witten/Herdecke, sprach über neue Chancen für die Lebensmittelindustrie und Visionen für eine gesunde Gesellschaft von morgen. Das Thema Ernährung spielt für ihn im Rahmen von Prävention, Heilung und Wohlbefinden eine zentrale Rolle, „das leider noch immer nicht den Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden hat“. Mit Blick auf die heimische Landwirtschaft zeigte er sich optimistisch: Deutschland sei bereit für den Kichererbsenanbau.
„Wenn ein großer Teil der Landwirtschaft das als Chance sehen würde, dann würde die Landwirtschaft ja hier sitzen“, begann Dr. Harald Grethe, Professor für Agrarentwicklung und Handel an der Humboldt- Universität zu Berlin und Co-Direktor des Think-Tanks Agora Agrar, seinen Vortrag. Tatsächlich waren weder der Deutsche Bauernverband noch die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft und andere Landwirtschaftsverbände beim Kongress über die Ernährung der Zukunft anwesend. „Das hat natürlich Konsequenzen, denn wenn man einen Umbau hin zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung will, wofür es viele gute Gründe gibt, dann funktioniert das besser, wenn man möglichst viele einbindet“, betonte der Agrarwissenschaftler.
In seinem Vortrag stellte er eine unbequeme Frage: Sind alternative Proteine Gefahr oder Chance für die Landwirtschaft? Seine Antwort fiel differenziert aus. Es scheint, als ob ein großer Teil der Landwirtschaft es eher als Gefahr sieht. Sein erster Punkt: „Eine stärker pflanzenbasierte beziehungsweise weniger tierhaltungsbasierte Ernährung ist zentral für eine nachhaltige Zukunft.“ Das habe mit dem hohen Flächenanspruch der tierischen Eiweißerzeugung zu tun, mit Methanemissionen aus der Wiederkäuerhaltung, regionalen Nährstoffkonzentrationen und Ammoniakemissionen.
Wegbrechende Wertschöpfung als Kernproblem
Die Dimension des Problems wird klar, wenn man auf die Zahlen schaut: Etwa die Hälfte der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft stamme aus der Nutztierhaltung. Eine Halbierung der Tierhaltung bedeute den Wegfall eines Viertels aller landwirtschaftlichen Verkaufserlöse, wie Grethe erklärte. Er illustrierte das Problem mit einem eindrücklichen Vergleich an das Publikum: „Stellen Sie sich vor, wir sind 200 Menschen in diesem Saal, aber mittelfristig brauchen wir nur 100. Jetzt bilden Sie kleine Gruppen und diskutieren konstruktiv, welche 100 gehen müssen. Das ist nicht bequem, das ist nicht schön.“
Können Landwirte selbst alternative Proteine produzieren? Grethe zeigte sich hier zurückhaltend. Die Produktion alternativer Proteine beinhalte „recht industrielle Prozesse mit Skalenvorteilen“, die voraussichtlich an zentralen Industriestandorten nahe Ballungszentren etabliert würden.
Dennoch identifizierte der Agrarprofessor auch Vorteile landwirtschaftlicher Standorte: dezentrale Produktionsstätten mit Hofflächen und Gebäuden, Zugang zu Baugenehmigungen, Unternehmererfahrung, Kapitalmärkte, hohe Risikobereitschaft und Erfahrung im „Management lebender Systeme“.
Auch der Zugang zu lokal erzeugter erneuerbarer Energie und verschiedenen Biomasseströmen spreche für landwirtschaftliche Betriebe. Seine Schlussfolgerung: „Das reißt nicht die große Menge raus.“ Aber: „Nischen tun wir viel zu oft ab als etwas, was irrelevant ist. Wenn man viele Nischen hat, dann ist das am Ende auch eine Menge Wertschöpfung.“
Grethe appellierte an beide Seiten: „Es lohnt sich, empathisch darüber nachzudenken, was denn zukünftige Erwerbsmodelle im ländlichen Raum sind.“
Wenn ein großer Teil der Landwirtschaft alternative Proteine als Gefahr statt als Chance sehe, produziere man Verlierer. Aber gemeinsam könne man Wertschöpfungsoptionen identifizieren, Nischen ernst nehmen und von beiden Seiten Anstrengungen unternehmen, um Landwirten die Teilhabe an neuen Wertschöpfungsketten zu ermöglichen. Nur wenn Chancen entstehen und Anreize gesetzt werden, könne der notwendige Umbau gelingen, ohne eine ganze Branche zurückzulassen.
Wissenschaftlicher Beirat fordert staatliche Hilfen
Der Smart Proteins Summit zeigte eine Branche, die technologisch stark voranschreitet, die Fähigkeit zur Skalierung hat und mit dem Handel starke Partner an ihrer Seite weiß. Ein gutes Beispiel ist das dänische Start-up Matr Foods, das aus Bio-Gemüse und Pilzsporen durch Fermentation Produkte erzeugt und nächstes Jahr den Markteintritt hierzulande plant. Die Nachfrage ist da. Doch die Branche muss auch raus aus ihrer „Blase“ und weg davon, nur ein Ersatz zu sein, und sich dagegen stärker an Trends docken. Prof. Achim Spiller, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), stellte Kernpositionen aus dem aktuellen Gutachten zu Alternativprodukten vor. Der Beirat plädiere für das Prinzip ‚Weniger, aber besser’. „Der Wandel der Tierhaltung zu mehr Tierwohl muss staatlich unterstützt werden, insbesondere wenn die Branche schrumpft“, so Spiller. Eine klare Positionierung, die zeigt: Die Wissenschaft sieht alternative Proteine als Teil einer umfassenden Transformation.
Silvana Grass



