Prof. Dr. Michael Babbel
Praxishinweise zur Analyse von KonzernabschlĂĽssen im Kontext von Unternehmenstransaktionen
Unternehmenskäufe bringen weitreichende Folgen für die Rechnungslegung der erwerbenden Unternehmen mit sich. Der nachfolgende Beitrag zeigt auf, inwiefern die Abbildung von solchen Unternehmenstransaktionen sogar zu systematischen Verzerrungen in Konzernabschlüssen führt. Zunächst werden die zentralen bilanziellen Mechanismen und deren grundsätzlich verzerrende Auswirkungen auf die Finanzberichterstattung erläutert. Anschließend werden zusätzlich Gestaltungspraktiken im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen analysiert, mit denen Umsatz-, Gewinn- und Cashflow-Kennzahlen gezielt und irreführend beeinflusst werden können. Der Beitrag enthält außerdem praxisorientierte Hinweise, wie Aufsichtsräte, Analysten, Abschlussprüfer und andere Adressaten solche Effekte erkennen und in ihre Beurteilung einbeziehen können.
I. Einleitung
Die Zielsetzungen und das Verhalten der meisten Unternehmen sind auf Expansion ausgerichtet. Dies gilt insbesondere für börsennotierte Gesellschaften, die unter dem Erwartungsdruck stehen, für ihre Anteilseigner eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. Alternativ zum organischen Wachstum können regelmäßige Unternehmenskäufe zu einem kontinuierlichen Wachstum verhelfen.1
Bei der Verwendung von Abschlussinformationen ist bei akquisitionsorientierten Unternehmen allerdings Vorsicht geboten. Die Bilanzierungsregeln im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen fĂĽhren dazu, dass die Performance akquisitionsorientierter Unternehmen systematisch positiv verzerrt wird.2
Ein Grund für die Verzerrung liegt darin, dass bestimmte Kosten, die typischerweise als Aufwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung auszuweisen wären, stattdessen in der Bilanz als Geschäfts- oder Firmenwert bzw. immaterielle Vermögenswerte erscheinen. Ferner erfolgt in der Kapitalflussrechnung eine Zuordnung von Zahlungsmittelabflüssen zum Cashflow aus Investitionstätigkeit, obwohl diese nach ihrer wirtschaftlichen Funktion den operativen Tätigkeiten zuzurechnen wären.
Diese beiden verzerrenden Phänomene – die Verlagerung von Aufwendungen in die Bilanz sowie die Verschiebung von Zahlungsmittelabflüssen aus dem operativen Cashflow in den Cashflow aus Investitionstätigkeit – sind allerdings als natürliche Konsequenz des Akquisitionsprozesses zu verstehen (s. Abschn. II.) und nicht als gezielte Beeinflussung der Finanzberichterstattung durch das Management. Umso wichtiger ist es für Investoren und andere Adressaten, diese zwangsläufig aus den Rechnungslegungskonventionen im Zusammenhang mit Unternehmensakquisitionen entstehenden, potenziell irreführenden Informationen bei der Verwendung von Abschlussinformationen (insbesondere Gewinn- und Cashflow-Kennzahlen) zu berücksichtigen.
Die Abschn. III. und IV. widmen sich darüber hinaus der gezielten Beeinflussung der Finanzberichterstattung durch das Management im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen. Sie zeigen das Risiko irreführender Gestaltungspraktiken auf, welches mit Unternehmenstransaktionen einhergeht. Investoren und andere Abschlussadressaten sollten um diese Gestaltungspraktiken wissen, um erkennen zu können, wenn Gewinn-, Umsatz- und Cashflow-Kennzahlen im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen künstlich aufgebläht werden.
II. Inhärente Verzerrung von Konzernabschlüssen durch die bilanzielle Abbildung von Unternehmenstransaktionen
1. Verlagerung von Aufwendungen in die Bilanz
Das nachfolgende Beispiel fĂĽr zwei Unternehmen aus der Pharmaindustrie veranschaulicht die systematische Verlagerung von Aufwendungen in die Bilanz durch Unternehmenstransaktionen:
Unternehmen O wächst organisch, während Unternehmen K durch Unternehmenszukäufe wächst. Unternehmen O muss 15 % seines Umsatzes von 1 Mrd. Euro für nicht aktivierbare Forschung und Entwicklung (F&E) ausgeben und verbucht jährlich 150 Mio. Euro als Aufwand. Im Gegensatz dazu erwirbt Unternehmen K den Großteil seiner neuen Medikamente durch Unternehmenszukäufe. Die F&E-Kosten für die erworbenen Medikamente werden im Rahmen der Kaufpreisallokation als Immaterielle Vermögenswerte oder Geschäfts- oder Firmenwert in der Bilanz aktiviert und belasten den Aufwand daher nicht. Unternehmen K gibt dabei nur 2 % seines Umsatzes von 1 Mrd. Euro für eigene F&E aus, also 20 Mio. Euro.
Vergleicht man die Ergebnisse der beiden Unternehmen, so wird Unternehmen O einen deutlich geringeren Gewinn ausweisen, da es 150 Mio. Euro als Aufwand verbuchen muss. Unternehmen K hingegen würde lediglich die 20 Mio. Euro für die bescheidenen F&E-Ausgaben sowie einen relativ geringen Abschreibungsaufwand auf die erworbenen immateriellen Vermögenswerte erfassen. Über einen langen Zeithorizont wird Unternehmen K wahrscheinlich wesentlich mehr als Unternehmen O ausgeben, um Zugang zu neuen Medikamenten zu erhalten, da ganze Unternehmen übernommen werden. Nach den Rechnungslegungsvorschriften für Unternehmenszusammenschlüsse würden die meisten akquisitionsbezogenen Kosten jedoch nicht als Aufwand verbucht, sondern in der Bilanz aktiviert – häufig als immaterielle Vermögenswerte oder Geschäfts- oder Firmenwert (IFRS 3.10 ff.).
Der entscheidende Punkt ist, dass akquisitionsorientierte Unternehmen logisch betrachtet höhere Gewinne ausweisen sollten als organisch wachsende Unternehmen – einfach deshalb, weil bestimmte notwendige Kosten für das Wachstum des Geschäfts (z. B. F&E) bereits von jemand anderem getragen wurden und daher nicht mehr im Aufwand erscheinen.
2. Verlagerung operativer ZahlungsmittelabflĂĽsse in den Investitionsbereich
Angesichts der Intransparenz, die in Bezug auf das Umsatz- und Gewinnwachstum entstehen kann, wenn mehrere Unternehmen neu konsolidiert werden, stützen sich Investoren bei akquisitionsorientierten Unternehmen häufig verstärkt auf den operativen Cashflow als Performance-Indikator. Hinzu kommt, dass akquisitionsorientierte Unternehmen nur zu gerne auf ihren starken operativen Cashflow als Beleg dafür verweisen, dass sie die erworbenen Unternehmen operativ gut führen und Synergien heben. Diese Argumentation ist – wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden – allerdings irreführend.3 Eine starke Fokussierung auf den operativen Cashflow als Leistungsindikator ist bei akquisitionsgetriebenen Unternehmen nicht anzuraten.
Der Vorteil, den erwerbende Unternehmen in Gestalt höherer Gewinne in der Gewinn- und Verlustrechnung erhalten, zeigt sich in vergleichbarer Form auch in der Kapitalflussrechnung.
In Bezug auf das Beispiel der zwei Pharma-Unternehmen O und K bedeutet das konkret: Die zur Erlangung neuer Medikamente gezahlte Liquidität im Rahmen einer Akquisition wird als Zahlungsmittelabfluss gem. IAS 7.16 im Bereich Investitionstätigkeit (und nicht im operativen Cashflow) der Kapitalflussrechnung ausgewiesen.
Zahlungsmittelabflüsse für Unternehmensakquisitionen stellen in der Kapitalflussrechnung eine Investition dar, während Zahlungsmittelabflüsse im Zuge der eigenen Forschung gemäß IAS 7.14 dem operativen Bereich zugeordnet werden. Dieser Ausweis lässt akquisitionsorientierte Unternehmen so erscheinen, als würden sie mehr operativen Cashflow generieren als ihre organisch wachsenden Wettbewerber.
Ein weiterer Effekt in Bezug auf den operativen Cashflow betrifft das Working Capital: Auch in diesem Fall erzeugen die Konzernabschlüsse den Eindruck, dass akquisitionsorientierte Unternehmen mehr operativen Cashflow erwirtschaften. Wird das Working Capital im Rahmen von Unternehmensakquisitionen erworben, so werden die zugehörigen Zahlungsmittelabflüsse (die Kaufpreiszahlung) – wie in Abschn. II. 1. beschrieben – dem Cashflow aus Investitionstätigkeit zugeordnet. Sobald die Kontrolle über das Zielunternehmen erlangt ist, führt die Liquidation dieser Vermögenswerte (d. h. insbesondere der Einzug von Forderungen und der Abverkauf von Vorräten) allerdings zu Zahlungsmittelzuflüssen, welche dem operativen Cashflow zugeordnet werden.
Die Implikationen für den operativen Cashflow hieraus sind erheblich: Beim Einzug einer Forderung entsteht üblicherweise ein operativer Mittelzufluss, dem zuvor ein operativer Mittelabfluss – etwa für den Einkauf oder die Herstellung der verkauften Güter und Dienstleistungen – vorausging. Bei einem Unternehmenserwerb ist dies anders: Die übernommenen Forderungen resultieren aus Geschäftsvorfällen, deren korrespondierende Zahlungsmittelabflüsse vor der Unternehmenstransaktion im operativen Cashflow des Zielunternehmens erfasst wurden. Die Kaufpreiszahlung, welche anteilig auf die Forderungen entfällt, wird in der Kapitalflussrechnung des erwerbenden Unternehmens im Cashflow aus Investitionstätigkeit ausgewiesen. Folglich vereinnahmt das erwerbende Unternehmen beim Einzug dieser Forderungen operative Zahlungsmittelzuflüsse, ohne jemals die korrespondierenden Zahlungsmittelabflüsse in seinem operativen Cashflow erfasst zu haben. Gleiches gilt für Vorräte.4
Unternehmenstransaktionen führen somit im Zuge der Liquidation des erworbenen Working Capital regelmäßig zu einer temporären Steigerung des operativen Cashflow. Diese Zusammenhänge erklären, warum Unternehmen, die durch Akquisitionen wachsen, häufig einen stärkeren operativen Cashflow ausweisen als organisch wachsende Unternehmen.
Wichtig ist, dass die zuvor dargestellten Effekte im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen als natürliche Konsequenz der regelkonformen bilanziellen Abbildung von Unternehmenstransaktionen zu verstehen sind. Sie sind nicht als gezielte Beeinflussung der Finanzberichterstattung durch das Management zu sehen, wenngleich diese Effekte in der Praxis einen hohen Anreiz für die Unternehmensführung darstellen mögen, Wachstum durch Übernahmen und nicht organisch zu erreichen. So zeigen bspw. die bekannten und viel zitierten Fälle von WorldCom oder Valeant, wie Investoren über viele Jahre hinweg durch eine aggressive Übernahmestrategie – insbesondere mit vermeintlich überzeugenden Zahlen für den operativen Cashflow – über die eigentlichen Schwächen des Geschäftsmodells hinweggetäuscht wurden.5
Abschlussadressaten (z. B. Aufsichtsräte, Investoren oder Analysten) müssen in ihren Analysen die dargestellten Effekte von Unternehmenstransaktionen berücksichtigen und dürfen insbesondere die Kennzahlen akquisitionsorientierter Unternehmen nicht ohne Weiteres mit denen organisch wachsender Wettbewerber vergleichen.
Praxistipp: Nutzen Sie fĂĽr akquisitionsorientierte Unternehmen anstelle des operativen Cashflow lieber den Free Cashflow!
Da Unternehmensakquisitionen regelmäßig zu einem nicht nachhaltigen Anstieg des operativen Cashflow (OCF) führen, sollte dieser in der Berichtsperiode einer Akquisition nicht unreflektiert als Leistungsindikator herangezogen werden. Bei wesentlichen Übernahmen bietet sich stattdessen der Free Cashflow (FCF) als Maßgröße zur Beurteilung der Cash-Generierung an. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der FCF nicht “vor Akquisitionen”, also nicht um die zahlungswirksamen Effekte der Akquisitionen bereinigt, berechnet wird – andernfalls würde gerade der mit der Akquisition verbundene Mittelabfluss ausgeblendet.6
In den folgenden Kapiteln befasst sich der Beitrag mit bewusst gewählten Gestaltungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen, die darauf abzielen, Gewinn-, Umsatz- und Cashflow-Kennzahlen des erwerbenden Unternehmens – zusätzlich zu den o. g. verzerrenden Effekten – künstlich zu steigern.
III. Gezieltes Aufblähen von Umsatz und Ergebnis im Rahmen von Unternehmenstransaktionen
1. Umsatzsteigerung durch Geschäfte mit dem Zielunternehmen kurz vor Abschluss der Transaktion
Vereinbarungen zwischen zwei Parteien unmittelbar vor deren Zusammenschluss (wie zwischen Erwerber und Zielunternehmen) müssen äußerst kritisch analysiert werden. Es ist nicht realistisch, dass derartige Transaktionen zu marktüblichen Bedingungen geschlossen werden. Betrachtet sei das Beispiel eines mittelständischen Franchise-Unternehmens, das kurz vor der Rückübernahme eines seiner Franchise-Betriebe gezielte Maßnahmen einsetzte, um die ausgewiesenen Umsatzerlöse künstlich aufzublähen.
Unmittelbar vor dem Abschluss der Akquisition verkaufte das Unternehmen diesem Franchise-Betrieb Küchenausrüstung für etwa 600 000 Euro. Im Rahmen des Geschäfts erhöhte das Unternehmen gleichzeitig den Kaufpreis für die Akquisition des Franchise-Betriebs um eben diese 600 000 Euro, also den Preis für die Ausrüstung. Diese Vereinbarung hatte offensichtlich keinerlei wirtschaftliche Substanz, sodass kein Umsatz hätte erfasst werden dürfen. Das Unternehmen sah dies jedoch anders und verbuchte den Verkauf der Küchenausrüstung dennoch als Umsatz anstatt als Verrechnung mit dem Kaufpreis. Das Ergebnis war eine irreführende Erhöhung der Umsatzerlöse.
Praxistipp: Achten Sie auf ungewöhnliche Umsatzquellen zum Zeitpunkt einer Unternehmenstransaktion!
Praxistipp: Achten Sie auf Transaktionen mit Zielunternehmen vor Abschluss der Transaktion!
2. Umsatzsteigerung durch unterlassene Umsatzrealisierung im Zielunternehmen vor Abschluss der Transaktion
Wenn Investoren und Analysten ihre Aufmerksamkeit auf die Umsätze der Zielunternehmen kurz vor Abschluss einer Unternehmenstransaktion richten, können sie gelegentlich interessante Muster entdecken. Es gibt Beispiele dafür, dass die berichteten Umsätze eines Zielunternehmens kurz vor Abschluss der jeweiligen Unternehmenstransaktion merklich zurückgehen (unabhängig von saisonalen Effekten), um dann – nach der Akquisition – wieder kräftig zu steigen. Was hinter dem jeweiligen Umsatzeinbruch steckt, muss für jeden Einzelfall gesondert analysiert werden. Doch je stärker der Umsatzeinbruch ausfällt, desto wahrscheinlicher ist es, dass die ausgewiesenen Umsatzzahlen nicht korrekt sind. Schließlich hätte ein echtes Zusammenbrechen des Geschäftsmodells wohl zur Absage der Akquisition geführt.
Im Falle manipulierter Umsatzzahlen, verzichtet das Zielunternehmen bewusst darauf, Umsätze zu verbuchen, um dem erwerbenden Konzern zu ermöglichen, diese Erlöse in den Perioden nach Abschluss der Transaktion auszuweisen.7
Praxistipp: Achten Sie auf Umsatzrückgänge bei Zielunternehmen kurz vor Abschluss der Transaktion!
3. Generierung fragwürdiger Umsatzströme nach Abschluss der Transaktion
Sowohl Käufer als auch Verkäufer von Unternehmen haben große Flexibilität bei der Strukturierung einer Unternehmenstransaktion. So kommt es gelegentlich vor, dass Käufer oder Verkäufer eines Unternehmens neue Umsatzquellen erzeugen, indem zusätzliche scheinbar unabhängige Vereinbarungen im Rahmen der Unternehmenstransaktion geschlossen werden. Die Vorgehensweise kann an einem simplen Beispiel verdeutlicht werden:
Das erwerbende Unternehmen E möchte das Zielunternehmen Z vom verkaufenden Unternehmen V erwerben. Unternehmen E und Unternehmen V einigen sich auf einen Preis von 4 Mio. Euro, was dem fairen Marktwert des Zielunternehmens Z entspricht. Unternehmen E bietet Unternehmen V daraufhin an, stattdessen 5 Mio. Euro zu zahlen (anstatt der 4 Mio. Euro), sofern Unternehmen V sich einverstanden erklärt, dem Unternehmen E im nächsten Jahr eine Lizenzgebühr von 1 Mio. Euro zu zahlen. Diese Änderung hat keinerlei reale wirtschaftliche Auswirkungen für das erwerbende Unternehmen E oder das verkaufende Unternehmen V, aber die veränderte Struktur ermöglicht es E, im Jahr nach der Akquisition 1 Mio. Euro mehr Umsatz auszuweisen. Derartige Absurditäten kommen in der Realität vor.
Praxistipp: Achten Sie darauf, ob entweder der Käufer oder der Verkäufer durch eine zusätzliche Vereinbarung neue Umsatzquellen schafft!
Hinweis: Es ist immer Vorsicht geboten, wenn Zahlungsströme in zwei Richtungen fließen. In solchen Fällen bieten sich vielfältige Spielräume für Gestaltungstricks bei der Klassifizierung der Zahlungsströme.
4. KĂĽnstliche Steigerung des Gewinns durch Neubewertung von Verbindlichkeiten aus bedingten Gegenleistungen
Beispiel:
Angenommen, Sie erwerben ein Unternehmen für 80 Mio. Euro und müssen später eventuell eine zusätzliche Earn-out-Zahlung von bis zu 60 Mio. Euro leisten, falls das erworbene Unternehmen bestimmte vereinbarte Ziele erreicht. Diese 60 Mio. Euro (bzw. der Fair Value) stellen gem. IFRS 3.39 eine bedingte Gegenleistung dar. Diese ist als Teil der für das erworbene Unternehmen übertragenen Gegenleistung zu bilanzieren – stellt also keinen Aufwand dar – und wird typischerweise als finanzielle Verbindlichkeit zum Zeitwert ausgewiesen. Ein Jahr später bleibt die Performance des Zielunternehmens hinter den Erwartungen zurück, sodass die erwartete Earn-out-Zahlung nur noch 40 Mio. Euro beträgt. Buchhalterisch müssen Sie dann gem. IFRS 3.58 i. V. m. IFRS 9.5.7.1 die finanzielle Verbindlichkeit aus bedingter Gegenleistung erfolgswirksam um 20 Mio. Euro reduzieren. Dies führt zu einem Gewinnanstieg von 20 Mio. Euro. Aus ökonomischer Perspektive wirkt dieses Ergebnis paradox: Der Gewinn steigt, weil das erworbene Unternehmen schlechter abschneidet als erwartet. Aus buchhalterischer Sicht wird die Reduktion der künftigen Earn-out-Zahlung jedoch gewinnerhöhend behandelt.
Ein Unternehmen kann derartige Zahlungsverpflichtungen für mögliche Earn-out-Zahlungen (bedingte Gegenleistungen) relativ simpel zur künstlichen Steigerung des Gewinns nutzen. Sowohl durch eine anfänglich überhöhte Bewertung des Fair Value der geschätzten Zahlungen als auch durch spätere Behauptungen, das erworbene Unternehmen performe schwach (und es würden kaum oder keine weiteren Zahlungen fällig), kann der Gewinn auf unerlaubte Weise künstlich gesteigert werden.
Praxistipp: Achten Sie auf wesentliche Verbindlichkeiten aus bedingten Kaufpreiszahlungen und Erträge aus deren Reduzierung sowie auf kritische Bewertungsannahmen in den Anhangangaben (insbesondere in Bezug auf die Zielerreichung als Bedingung etwaiger Earn-out-Zahlungen)!
IV. Gezieltes Aufblähen des operativen Cashflow im Rahmen von Unternehmenstransaktionen
1. KĂĽnstliche Steigerung des operativen Cashflow durch Steuerung des Working Capital beim Zielunternehmen vor Abschluss der Transaktion
Wie in Abschn. II. gezeigt, führen Unternehmenserwerbe naturgemäß zu einem positiven Einfluss auf den operativen Cashflow des erwerbenden Unternehmens. Dies liegt daran, dass die Bilanz des Zielunternehmens nach der Übernahme in die Konzernbilanz des Erwerbers integriert wird und der operative Cashflow typischerweise von der Liquidation des erworbenen Working Capital profitiert (Einziehung offener Forderungen und Abbau von Vorräten).
Für manche Unternehmen sind diese natürlichen Cashflow-Schübe allerdings nicht genug. So sind in der Praxis diverse Gestaltungspraktiken vorzufinden, um noch mehr für den operativen Cashflow aus Unternehmenszukäufen herauszuholen.8 Ein typisches Beispiel verdeutlicht, wie solche Maßnahmen funktionieren können:
Man denke an ein Unternehmen, das von einem akquisitionsorientierten Unternehmen übernommen werden soll – also von einem Konzern, der regelmäßig andere Unternehmen akquiriert. Die Unternehmenstransaktion ist ausverhandelt. Noch bevor die Transaktion formal vollzogen ist, ändert sich das Zahlungsverhalten des Zielunternehmens. Kundenzahlungen werden nicht oder später als üblich eingezogen. Gleichzeitig begleicht die Buchhaltung fällige Lieferantenrechnungen nicht wie üblich erst kurz vor Ablauf der Zahlungsfrist, sondern umgehend – teilweise sogar im Voraus. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass das Zielunternehmen in den Wochen vor Abschluss der Unternehmenstransaktion einen ungewöhnlich niedrigen operativen Cashflow aufweist. Mittelzuflüsse aus dem Forderungseinzug werden bewusst verzögert, während die Mittelabflüsse wegen frühzeitiger Zahlungen steigen. Das Working Capital wird aufgebläht und bietet eine Art Reserve für den operativen Cashflow. Die Anpassung des Zahlungsverhaltens könnte auf Anweisung des erwerbenden Unternehmens unter dem Vorwand organisatorischer Anpassungen oder betrieblicher Abläufe im Zuge der Unternehmenstransaktion erfolgen.9 Unmittelbar nach dem Vollzug der Akquisition ändert sich das Zahlungsverhalten wieder. Der neue Eigentümer verlangt nun, alle ausstehenden Forderungen rasch einzuziehen und künftige Zahlungen an Lieferanten wieder in den üblichen zeitlichen Grenzen zu leisten. Dadurch kehrt sich die Cashflow-Wirkung um: In der ersten Berichtsperiode nach der Übernahme kommt es zu einem ungewöhnlich hohen operativen Mittelzufluss, indem das aufgeblähte Working Capital liquidiert wird – die Reserve wird aufgezerrt. Der Cashflow des erwerbenden Unternehmens wirkt plötzlich stark verbessert, obwohl sich an der realen Ertragskraft oder operativen Effizienz nichts geändert hat.
Durch die Verschiebung der Zahlungszeitpunkte kann die positive Verzerrung des operativen Cashflow durch Unternehmenserwerbe signifikant gesteigert werden. Akquisitionsorientierte Unternehmen können diesen Effekt durch fortlaufende Unternehmenskäufe perpetuieren.
Praxistipp: PrĂĽfen Sie die Bilanzen erworbener Unternehmen!
Wenn diese Unterlagen verfügbar sind, sollten Investoren und andere Adressaten diese unbedingt durchsehen. So lässt sich das potenzielle, inhärente Working-Capital-Potenzial besser einschätzen. Eine präzise Quantifizierung ist dabei oft schwierig; gleichwohl lässt sich der Effekt in vielen Fällen zumindest grob abschätzen. Für wesentliche Akquisitionen müssen erwerbende Unternehmen im Konzernanhang gem. IFRS 3.59-63 i. V. m. IFRS 3.B64 eine Übersicht über die dabei erworbenen Vermögenswerte und übernommenen Schulden zum Erwerbszeitpunkt veröffentlichen.
2. Verlagerung von Mittelzuflüssen aus Unternehmensverkäufen in den operativen Cashflow
Eine weitere Möglichkeit zur Steigerung des operativen Cashflow besteht in der Verlagerung von Mittelzuflüssen aus dem Cashflow aus Investitionstätigkeit in den operativen Bereich. In der Praxis finden sich Transaktionsstrukturen, bei denen der erzielte Mittelzufluss aus dem Verkauf eines Tochterunternehmens oder Geschäftsbereichs nicht vollständig im Cashflow aus Investitionstätigkeit ausgewiesen wird, obwohl der wirtschaftliche Vorgang eindeutig einem Desinvestment entspricht. Stattdessen wird ein Teil der erhaltenen Gegenleistung als Vorauszahlung auf künftig erwartete Leistungen oder Lizenzgebühren deklariert und damit in den operativen Cashflow verschoben.
Beispiel:
Das Unternehmen V veräußert eine Tochtergesellschaft an das Unternehmen K und schließt gleichzeitig einen Servicevertrag ab, nach dem K künftig lizenzähnliche Zahlungen an V zu leisten hat, die an den zukünftigen Umsatzerlösen der verkauften Tochtergesellschaft ausgerichtet sind. Zum Zeitpunkt des Verkaufs erhält V eine Barzahlung von 100 Mrd. Euro. Anstatt den gesamten Betrag dem Verkaufspreis der Tochtergesellschaft zuzuordnen, teilt V den Mittelzufluss in zwei Kategorien auf: 60 Mrd. Euro werden als Erlös aus dem Verkauf der Beteiligung (Cashflow aus Investitionstätigkeit) und 40 Mrd. Euro als Vorauszahlung auf zukünftige Lizenzgebühren (operativer Cashflow) verbucht. Die ökonomische Realität der Transaktion deutet jedoch darauf hin, dass V die Tochtergesellschaft tatsächlich vollständig für 100 Mrd. Euro veräußert hat. Die gewählte Strukturierung dient somit der Gestaltung der Kapitalflussrechnung. Anstatt einen einmaligen Mittelzufluss von 100 Mrd. Euro im Bereich der Investitionstätigkeit auszuweisen, berichtet V (1) einen Investitionszufluss von 60 Mrd. Euro aus dem Verkauf und (2) einen operativen Mittelzufluss von 40 Mrd. Euro aus der vermeintlichen Vorauszahlung.
Durch diese Aufspaltung eines wirtschaftlich einheitlichen Veräußerungsvorgangs in mehrere formale Vertragsbestandteile entsteht eine Verschiebung von Zahlungsströmen zwischen den Cashflow-Kategorien. Der Gesamtzufluss bleibt unverändert, doch die Darstellung in der Kapitalflussrechnung führt dazu, dass der operative Cashflow künstlich erhöht wird, während der Cashflow aus Investitionstätigkeit entsprechend reduziert wird.
Praxistipp: Achten Sie auf neue Positionen in der Kapitalflussrechnung!
Gestaltungen dieser Art lassen sich in vielen Fällen durch eine aufmerksame Analyse der Kapitalflussrechnung erkennen. Auffällig sind insbesondere ungewöhnliche Posten in der Herleitung des operativen Cashflow, etwa sprunghafte Zunahmen passiver Rechnungsabgrenzungen oder das Auftreten neuer Kategorien in der Herleitung des operativen Cashflow. Solche Veränderungen können darauf hinweisen, dass einmalige Mittelzuflüsse – bspw. aus Unternehmensverkäufen – als Vorauszahlungen auf künftige Leistungen verbucht wurden.
3. Einbehaltung von Reserven für den operativen Cashflow bei Unternehmensverkäufen
Ein weiteres Beispiel für die gezielte Steigerung des operativen Cashflow im Rahmen von Unternehmenstransaktionen zeigt sich bei der Veräußerung einzelner Betriebe oder Geschäftsbereiche, wenn das verkaufende Unternehmen z. B. die zugehörigen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen nicht mit an den Käufer überträgt, sondern im eigenen Bestand behält.
Wird ein Betrieb als wirtschaftlich geschlossene Einheit verkauft, werden grundsätzlich alle zugehörigen Vermögenswerte und Verbindlichkeiten übertragen. Entscheidet sich der Verkäufer jedoch, die Forderungen zurückzubehalten, vermindert sich auch der Verkaufspreis für den Betrieb um deren Wert, sodass die Entscheidung wirtschaftlich keine Auswirkungen zu haben scheint. Der Gesamtwert der Transaktion sinkt. Dafür verbleiben die Forderungen jedoch beim Verkäufer, der sie anschließend selbst einzieht.
Diese Strukturierung hat jedoch unmittelbare Auswirkungen auf die Kapitalflussrechnung des verkaufenden Unternehmens. Normalerweise würde der Mittelzufluss aus dem Verkauf des Betriebs vollständig im Cashflow aus Investitionstätigkeit erfasst, da es sich um den Abgang eines Geschäftsbereichs handelt. Durch den Ausschluss der Forderungen reduziert sich dieser Investitionszufluss allerdings um den einbehaltenen Betrag. Sobald die Kunden die offenen Forderungen begleichen, entsteht ein entsprechender Mittelzufluss im operativen Cashflow, da die Zahlungseingänge formal als Einzug von Forderungen aus laufender Geschäftstätigkeit gelten.
Betragen die einbehaltenen Forderungen bspw. 20 Mio. Euro, so vermindert sich der ausgewiesene Mittelzufluss aus Investitionstätigkeit um diesen Betrag, während sich der operative Cashflow – mit Eingang der Zahlungen – um denselben Betrag erhöht. Der operative Cashflow fällt dadurch höher aus. Diese Verschiebung ändert zwar nichts an der ökonomischen Substanz der Transaktion, beeinflusst jedoch die Interpretation der Leistungskennzahlen erheblich: Ein scheinbar gestärkter operativer Cashflow kann in Wahrheit auf eine bloße Umgliederung von Zahlungsströmen im Zuge der Transaktionsgestaltung zurückzuführen sein.
4. Aussparung von Lasten für den operativen Cashflow bei Unternehmenskäufen
Wie in Abschn. IV. 3. beschrieben, kann ein veräußerndes Unternehmen den künftigen operativen Cashflow künstlich erhöhen, indem es bei einer Unternehmenstransaktion bspw. die Forderungen aus dem Verkauf ausnimmt. Spiegelbildlich kann auch ein erwerbendes Unternehmen den operativen Cashflow ähnlich beeinflussen, indem es zwar sämtliche Vermögenswerte übernimmt, die Verbindlichkeiten jedoch von der Transaktion ausklammert.
V. Zusammenfassung
- Unternehmenstransaktionen fĂĽhren zu systematischen Verzerrungen in KonzernabschlĂĽssen. Aufwendungen werden in die Bilanz und operative ZahlungsabflĂĽsse in den Investitionsbereich verlagert.
- Gewinn- und Cashflow-Kennzahlen akquisitionsorientierter Unternehmen sind nicht ohne Weiteres mit organisch wachsenden Wettbewerbern zu vergleichen. Anstelle des operativen Cashflow sollte der Free Cashflow als Leistungskennzahl herangezogen werden.
- Umsatz- und Ergebniskennzahlen lassen sich im Rahmen von Unternehmenstransaktionen gezielt aufblähen. Beispiele sind Scheinumsätze mit Zielunternehmen, bewusste Umsatzzurückhaltung im Zielunternehmen vor dem Closing, fingierte Lizenzvereinbarungen oder manipulierte Earn-outs.
- Es sollte auf ungewöhnliche Umsatzquellen, Umsatzrückgänge vor dem Closing und Erträge aus der Neubewertung bedingter Gegenleistungen geachtet werden.
- Der operative Cashflow kann im Rahmen von Unternehmenstransaktionen gezielt aufgebläht werden. Dies geschieht etwa durch Working-Capital-Management im Zielunternehmen vor dem Closing, die Verlagerung von Mittelzuflüssen aus Kaufpreiszahlungen in den operativen Cashflow oder den Einbehalt von Forderungen bei Unternehmensverkäufen.
- Man sollte Bilanzen erworbener Unternehmen prüfen, ungewöhnliche Posten in der Kapitalflussrechnung beachten und die Strukturierung der Transaktion kritisch analysieren.
- Analysten, Aufsichtsräte, Abschlussprüfer und andere Adressaten sollten Effekte aus Unternehmenstransaktionen stets in die Kennzahlenanalyse einbeziehen. Nur durch Berücksichtigung der bilanziellen und cashflowbezogenen Effekte lassen sich irreführende Leistungsindikatoren erkennen und korrigieren.

Prof. Dr. Michael Babbel ist Professor am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Er vertritt das Fachgebiet Externes Rechnungswesen mit dem Schwerpunkt Konzernrechnungslegung. Daneben verfügt er über langjährige Erfahrung in der Unternehmensberatung, insbesondere im Bereich der internationalen Finanzberichterstattung.
Vgl. Abate/Lyon, Serial Acquisitions and Industry Roll-ups – Background Note, OECD Competition Committee, 2023, https://www.oecd.org/daf/competition/serial-acquisitions-and-industry-roll-ups.pdf (Abruf: 16.10.2025).
Vgl. Schilit/Perler/Engelhart, Financial Shenanigans – How to Detect Accounting Gimmicks & Fraud in Financial Reports, 4. Aufl. 2018, S. 233 ff.
Vgl. Dechow/Ge/Schrand, Journal of Accounting and Economics 50 (2010), 344Â ff.
Übernimmt das erwerbende Unternehmen im Rahmen der Unternehmenstransaktion auch Working-Capital-Verbindlichkeiten (z. B. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen), so sind die Zahlungen an die Lieferanten nach Abschluss der Transaktion als Mittelabflüsse im operativen Cashflow zu erfassen. Allerdings weisen die meisten Akquisitionen ein positives Net Working Capital auf (mehr Forderungen und Vorräte als Verbindlichkeiten), sodass der beschriebene positive Effekt auf den operativen Cashflow regelmäßig überwiegt.
Vgl. Fröndhoff, Valeant – der gefallene Pharma-Star, HB vom 15.3.2016, https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/valeant-der-gefallene-pharma-star/13326266.html (Abruf: 17.10.2025); o. V., Telekommunikation: Bilanzskandal bei Worldcom, FAZ vom 26.6.2002, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/telekommunikation-bilanzskandal-bei-worldcom-158738.html (Abruf: 17.10.2025).
Für die Kommunikation des Free Cashflow vor Akquisitionen als bedeutsamste Leistungsindikatoren vgl. bspw. FUCHS SE, Geschäftsbericht 2024, 2025, https://www.fuchs.com/gruppe/investor-relations/finanzberichte-praesentationen/geschaeftsberichte-und-zwischenberichte/ (Abruf: 17.10.2025), S. 12; Continental AG, Geschäftsbericht 2024, 2025, https://annualreport.continental.com/2024/de/service/docs/geschaeftsbericht-2024-data.pdf (Abruf: 17.10.2025), S. 34.
Vgl. Erickson/Wang, Journal of Accounting and Economics 27 (1999), 149Â ff.; Louis, Journal of Financial Economics 74 (2004), 121Â ff.
Vgl. Roychowdhury, Journal of Accounting and Economics 42 (2006), 335 ff.; Zang, The Accounting Review 87 (2012), 675 ff.; Cohen/Zarowin, Journal of Accounting and Economics 50 (2010), 2 ff.; Schilit/Perler/ Engelhart, Financial Shenanigans – How to Detect Accounting Gimmicks & Fraud in Financial Reports, 4. Aufl. 2018, S. 249 ff.
Zum Einfluss des erwerbenden Unternehmens auf das Working Capital des Zielunternehmens vor Abschluss der Transaktion vgl. Smoyer/Powers (GreerWalker), The Crucial Role of Net Working Capital in M&A Transactions, 29.9.2023, https://greerwalker.com/the-crucial-role-of-new-working-capital-in-ma-transactions (Abruf: 17.10.2025).



