Horizont 46-47 vom 13.11.2025 Seite 6
Beratung statt Werbung?
E-Commerce: Wie Einkaufsassistenten und Agenten das Marketing von HÀndlern und Herstellern verÀndern werden. Von Klaus Janke
Am 28. November steht wieder der Black Friday an. Dann wollen sich 45 Prozent der deutschen Shopper von KI- Tools unterstĂŒtzen lassen, um Produkte zu finden und Preise zu vergleichen. Das ergibt eine aktuelle Befragung von knapp 1000 Personen, die die Strategieberatung Boston Consulting Group durchgefĂŒhrt hat.
Amazons CEO Andy Jassy hört das gern. Er zeigte sich bei der PrĂ€sentation der aktuellsten Quartalszahlen euphorisch: Der KI-basierte Einkaufsassistent Rufus werde Amazon kĂŒnftig einen zusĂ€tzlichen jĂ€hrlichen Umsatz von 10 Milliarden US-Dollar bescheren. Rufus sei in diesem Jahr schon von 250 Millionen KĂ€ufern genutzt worden. Und: Shopper, die ihn einsetzen, schlieĂen die Interaktion mit einer um 60 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit mit einem Kauf ab.
Weltweit sind groĂe HĂ€ndler dabei, KI-Tools in ihre Shops einzubauen â in Deutschland etwa Otto: âWir setzen schon jetzt verschiedene KI-Assistenten einâ, sagt Volker Carlguth, Senior Produktmanager. Unter anderem habe man einen Assistenten fĂŒr die ProduktannĂ€herung in der App entwickelt, der es erlaubt, im natĂŒrlichsprachlichen Dialog die passenden Artikel zu finden. Der textbasierte Assistent befinde sich in den finalen Kundentests und werde noch vor dem Black Friday ausgerollt. Kurz darauf soll er um eine Sprachsteuerung erweitert werden.
Die KI-Assistenten bei Otto greifen primĂ€r auf Produktdaten zu. âZudem analysieren die Modelle Suchanfragen, um die Absicht der Kund:innen besser zu verstehenâ, erlĂ€utert Carlguth. âAuch Bewertungen werden zur Beantwortung herangezogen.â Otto hatte bereits 2023 einen ersten KI-Assistenten gelauncht, mit dem man wertvolle Erfahrungen fĂŒr die neuere Generation gesammelt habe, so Carlguth.
Aber nicht nur die HĂ€ndler sind aktiv. Auch groĂe Plattform-Betreiber wie Google, OpenAI und Perplexity richten ihre KI-Systeme immer stĂ€rker auf E-Commerce- Anwendungen aus. Die Palette reicht von Assistenzsystemen, die Produkte erklĂ€ren, empfehlen und vergleichen, bis hin zu agentischen Anwendungen, die auch den Kauf in Onlineshops vornehmen können. Der sogenannte Agentic Commerce könnte deutlich an Fahrt aufnehmen, wenn es auf ChatGPT im nĂ€chsten Jahr möglich wird, EinkĂ€ufe nahtlos mit Paypal zu bezahlen.
In Zukunft wird es also zwei Fraktionen geben: auf der einen Seite der Handel mit seinen KI-Assistenten, auf der anderen Seite die Tools unabhĂ€ngiger Plattformen. Diese bieten den Vorteil der NeutralitĂ€t im Dienste des Nutzers und könnten daher bedeutender werden. âWenn der Checkout-Prozess gut und einfach ist, werden sich die KI- Agenten der groĂen Plattformen wie Google, ChatGPT oder Perplexity durchsetzenâ, schĂ€tzt Sören JeĂen, Managing Director und COO bei der E-Commerce- Agentur Remazing. âIm Gegenzug werden die HĂ€ndler aber ebenfalls massiv in ihre KI-Assistenten und vor allem in die PrĂ€senz auf den Plattformen investieren.â SchlieĂlich wollen sie möglichst frĂŒh im KI-gestĂŒtzten Entscheidungsprozess der User sichtbar sein. Die Plattformen wiederum mĂŒssen sich auf Dauer um die Refinanzierung ihrer KI-Shopping-Funktionen kĂŒmmern â da kommen natĂŒrlich WerbeplĂ€tze fĂŒr den Handel infrage. Der Agentic Commerce dĂŒrfte ein komplexes Geflecht von Kooperationen mit sich bringen, in dem in letzter Konsequenz Agenten mit Agenten reden.
Wie intensiv die neuen Möglichkeiten auch immer genutzt werden: sie werden die Customer Journey verĂ€ndern, wahrscheinlich verkĂŒrzen. Wenn die KI-Empfehlungen bereits viele Produktinformationen enthalten, können Besuche auf den Websites von Marken oder auf den Produktdetailseiten der HĂ€ndler ĂŒberflĂŒssig werden. Die Entwicklung dĂŒrfte analog zur EinfĂŒhrung der AI Overviews und des AI Mode bei Google erfolgen: Weil die KI bereits komplette Antworten auf User-Anfragen gibt, geht es vor allem darum, in diesen Antworten aufzutauchen. Die Konsequenz auch im E-Commerce: âDer Fokus verschiebt sich von klassischer Suchmaschinenoptimierung (SEO) hin zu einer Optimierung fĂŒr generative Systeme, der sogenannten Generative Engine Optimization (GEO)â, sagt Otto- Manager Carlguth.
Das heiĂt: Hersteller mĂŒssen vor allem die ProduktprĂ€sentation auf die neuen Herausforderungen einstellen. âSĂ€mtliche Produktdaten sollten nun ,agent readyâ sein, also neben Infos zum Produkt auch Angaben zu Preisen, Lieferzeiten, VerfĂŒgbarkeiten und Garantien enthaltenâ, sagt Remazing-Manager JeĂen. âDarĂŒber hinaus sollten sich die Hersteller intensiv mit den Bewertungen und Rezensionen beschĂ€ftigen.â Die HĂ€ndler sind auch gut beraten, sich auf die spezifischen Anforderungen einzelner KI-Assistenten einzustellen: âFĂŒr Rufus ist es wichtig, dass die Produktdaten auf Amazon Ă€hnlich strukturiert sind wie auf den Marken- Websitesâ, so JeĂen. âEs darf auch inhaltlich keine WidersprĂŒche geben.“
Nino Bergfeld, Director Retail Advisory bei Salesforce, rĂ€t zudem, sich frĂŒhzeitig technisch an das agentische System anzuschlieĂen: âHersteller sollten standardisierte APIs und Protokolle einfĂŒhren, damit Agenten Kataloge, Preise, VerfĂŒgbarkeit, Treuestatus und RĂŒckgabebedingungen abfragen und sogar Bestellungen aufgeben können. Sie können perspektivisch auch bevorzugte ZugĂ€nge, ,Agentenrabatteâ oder gestaffelte ,Agentenprogrammâ-Vorteile anbieten, um Agenten einen Anreiz zu bieten, den jeweiligen Hersteller in ihre Auswahlliste aufzunehmen.â
Notwendig sei auch eine umfassende ĂberprĂŒfung der Content-Strategie: âUm relevant fĂŒr die KI- Einkaufsberater zu sein, mĂŒssen Hersteller wissen, in welchen Kontexten ihre Produkte genutzt werden: Eignet sich ein Laufschuh auch fĂŒr lĂ€ngere Asphaltstrecken? Diese Kontexte sollten in ihrem Website-Content und in den Produktbeschreibungen auftauchenâ, empfiehlt Bergfeld. An die Seite des bisherigen B2C- tritt also ein neues B2AI-Marketing. Hier zĂ€hlen vor allem Informationen und VertrauenswĂŒrdigkeit, wĂ€hrend EmotionalitĂ€t fĂŒr die KI-Agenten keine Rolle spielt. âFĂŒr die Werbung bedeutet das: Im unteren Bereich des Funnels wird die Kommunikation rationaler und faktenorientierter, weil die KI-Agenten mitlesenâ, sagt Bergfeld. âBranding und Awareness dagegen werden noch deutlicher in Richtung TV oder Influencer Marketing verlagert.â
GroĂe Auswirkungen kann der Agentic Commerce auf das Retail-Media-GeschĂ€ft der HĂ€ndler haben. Wenn KI- Agenten von auĂen auf HĂ€ndler-Websites zugreifen und dort lediglich Fakten abfragen und direkt kaufen, verliert Onsite-Werbung an Bedeutung. Cross-Selling ĂŒber interessante Zusatzartikel, Impulsweckung durch Sonderangebote, Branding, Werbung fĂŒr neue Produkte â all das verpufft, weil die KI immun gegen Ablenkungen ist. Es ist bezeichnend, dass Amazon kĂŒrzlich einen Unterlassungsbescheid an Perplexity geschickt hat und fordert, dass dessen Comet Browser nicht mehr auf der Plattform einkaufen solle. Diese Praxis verletze die GeschĂ€ftsbedingungen und degradiere das Kauferlebnis auf Amazon. Perplexity betont dagegen, die Agenten seien âAgenten des Nutzersâ, keine Crawler, Scraper oder Bots. Daher sei es in Ordnung, dass sie die gleichen Rechte hĂ€tten wie die User selbst.
Aber durch die EinfĂŒhrung eigener KI-Assistenten gefĂ€hrden die HĂ€ndler ihr Retail-Media-GeschĂ€ft auch selbst â nicht zuletzt, weil dadurch die Relevanz bezahlter Suchergebnisse sinken kann. Der internationale Retail- Media-Vermarkter Criteo ist bereits dabei, neue Werbeformate fĂŒr die KI-Ăra zu entwickeln. âSuch- und Kategorie-Browsing-Seiten werden relativ an Bedeutung verlieren, da EinzelhĂ€ndler versuchen, den Weg vom Entdecken zum Kauf mit Chat-Ă€hnlichen, agentenbasierten Erlebnissen zu beschleunigenâ, schreibt Michael Greene, Head of Platform Strategy bei Criteo Retail Media, in einem Blogbeitrag. Daher rĂ€t er dazu, gesponserte Produkte nahtlos in die personalisierten Empfehlungen zu integrieren und die Produktdetailseiten fĂŒr die Entdeckung ergĂ€nzender Produkte zu nutzen. âImmersivere Formate wie Display- und Videowerbung mĂŒssen sich von festen PlĂ€tzen am Rand oder am unteren Rand einer Seite zu nativ integrierten Komponenten von Chat-Erlebnissen oder Empfehlungen und Inhalten auf Produktdetailseiten entwickeln.â Damit stehen die HĂ€ndler aber vor derselben Herausforderung wie Google: Wie integriert man Werbung in die Antworten von KI- Systemen, die doch eigentlich neutral und objektiv sein sollen?
Amazons KI-Tools fĂŒr den Einkauf
â Rufus heiĂt der KI-gesteuerte Assistent, den Amazon Anfang 2024 eingefĂŒhrt hat. Er kann Fragen zu Produkten beantworten, Empfehlungen geben und beim Vergleich von Artikeln helfen. Rufus reagiert auf Text- oder Sprachbefehle. In Deutschland startete eine Beta-Phase fĂŒr die App im November 2024. Eine Desktop-Version gibt es seit Juli 2025.
â Buy For Me kommt zum Einsatz, wenn ein gewĂŒnschter Artikel auf Amazon nicht verfĂŒgbar ist. Bei bestimmten Produkten erscheint dann ein Button, der den Einkauf direkt auf der Marken-Website des Herstellers ermöglicht. Die Zahlung erfolgt ĂŒber Amazon. Das Tool ist seit April 2025 in der Beta-Phase fĂŒr eine begrenzte Zahl von Amazon-App-Nutzern in den USA verfĂŒgbar.
â Help Me Decide wird eingeblendet, wenn sich Kunden lĂ€ngere Zeit mit Ă€hnlichen Produkten beschĂ€ftigen. Das Tool liefert eine personalisierte Empfehlung, die auf dem bisherigen Suchverlauf, der Kaufhistorie und aktuell angesehenen Artikeln basiert. Es ist seit Oktober 2025 in den USA verfĂŒgbar.
Klaus Janke



